Deutscher Bundestag/Achim Melde

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Rede zur abschließenden Beratung zum neuen Bundesarchivrecht am 18.01.17

 

 

Es gilt das gesprochene Wort:

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

bei der Diskussion um das vorliegende Gesetz hat die Koalition wirklich eine beeindruckende Beratungs­resistenz bewiesen.

Von BILD bis Süddeutsche, von Deutschlandradio bis FAZ waren sich alle einig, dass der Entwurf zahlreiche Verschlechterungen mit sich bringt – und demokratische Prinzipien sogar gefährdet. Und dass sich BILD und Süddeutsche mal so einig sind, das muss man erst mal schaffen!

Nicht nur die Medien oder wir haben immer wieder auf die Schwachstellen und Probleme des Gesetzes hingewiesen. Auch die Sachverständigen stimmten bei der Anhörung in ihrer Kritik überein – trotzdem haben Sie sich nicht beraten lassen. — Aber das kennen wir ja auch von anderen Gesetzesvorhaben.

Und damit Sie nicht sagen können, man hätte Sie nicht ausreichend gewarnt, will ich die wichtigsten Argumente gegen den Entwurf hier noch einmal anführen.

 

Das Wichtigste vorweg: Das Bundesarchivrecht ermöglicht die demokratische Kontrolle von Politik und Verwaltung im Nachhinein.

Seit der Einführung des Informationsfreiheitsgesetzes hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen – und zwar hin zu einer transparenten und offenen Verwaltungskultur.

Der Zugang zu Akten ist die Voraussetzung für eine lebendige Demokratie, die von einer kritischen und informierten Öffentlichkeit lebt. Und hierfür soll das Bundesarchivgesetz die rechtlichen Grundlagen legen.

Statt aber das Bundesarchivrecht nutzerfreundlicher zu machen, wird es den Behörden leicht gemacht, ihre Akten der Öffentlichkeit zu entziehen.

Bei den Themen Löschungssurrogat und Schutzfristen sind uns die meisten Landesarchive bereits weit voraus. Das Bundesarchiv soll modernisiert werden, kommt aber mit einer allgemeinen Schutzfrist von 30 Jahren daher wie ein Dinosaurier aus anderen Zeiten. Das ist wirklich peinlich, meine Damen und Herren!

Der skandalöseste Punkt aber ist die Extraregelung für die Geheimdienste. Sie haben an dem Absatz ja nochmal herum gedoktert, aber das ändert nichts daran, dass dies ein Gummiparagraf ist.

 

Die Geheimdienste haben keine allgemeine Abgabepflicht wie sonst alle anderen Behörden, sondern können ab jetzt selbst entscheiden, welche Unterlagen sie an das Archiv abgeben.

Das ist ungeheuerlich: Akten, die staatliches Handeln dokumentieren, gehören ins Archiv, und zwar ohne Wenn und Aber!

Und kommen Sie mir nicht mit dem Einwand, sensible Unterlagen seien im Bundesarchiv nicht ausreichend geschützt! Falls Sie sich das so vorstellen, dass da geheime Akten in offenen Umzugskartons auf dem Gang rumstehen: Das passiert vielleicht beim Verfassungsschutz, aber nicht im Bundesarchiv.

Und im Gegensatz zum Verfassungsschutz hat sich das Bundesarchiv noch nichts zu Schulden kommen lassen.

Was diese Sonderregelung für die Geheimdienste angeht, scheinen Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geheimdienste mehr zu vertrauen als den Archivarinnen und Archivaren.

Eine fragwürdige Entscheidung, wenn wir die vielen Untersuchungs­ausschüsse bedenken, die sich mit Geheimdienstskandalen befassen.

Wir Grüne haben daher einen Entschließungsantrag gestellt, der auf all diese Probleme eingeht.

In diesem Antrag ist uns ein weiterer Punkt sehr wichtig:

Es gibt Ereignisse wie das Oktoberfest-Attentat oder die NSU-Morde, die von so großer öffentlicher Bedeutung sind, dass ein Zugang zu den Akten möglich sein muss – auch vor Ablauf der Schutzfrist und auch, wenn diese Unterlagen als geheim eingestuft sind. Gerade solche Akten dürfen nicht vor der Öffentlichkeit weggeschlossen werden, sondern müssen in die Archive gehen.

Der Umgang mit solch einschneidenden und umstrittenen Ereignissen der jüngeren Zeitgeschichte ist quasi der Lackmustest für eine demokratische Öffentlichkeit.

Oft bleiben diese Akten über Jahrzehnte unzugänglich, weil sie von den Geheimdiensten sehr großzügig als geheime Verschlusssachen eingestuft werden und so im Giftschrank verschwinden.

 

Daher sind klare Vorgaben bitter nötig. Nur so können diese umstrittenen Geschehnisse umfassend aufgeklärt werden.

So können wir letztlich auch unsere Debattenkultur stärken, weil hierdurch Verschwörungs­theorien der Wind aus den Segeln genommen werden kann und gleichzeitig eine unabhängige wissenschaftliche und journalistische Aufklärung unterstützt wird. Und unsere Debattenkultur könnte gut weniger Verschwörungs­theorien und dafür mehr Fakten gebrauchen.

Diese und alle weiteren Knackpunkte sind Ihnen bekannt. Sie halten dennoch an diesem Entwurf fest – und das ist dann nicht mehr nur chronische Beratungsresistenz, sondern politisches Kalkül.

Geheimhaltung statt Transparenz – das ist in der heutigen Zeit genau das falsche Signal!

 

Vielen Dank.

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