In eigener Sache: Rückzug aus dem Bundestag
Liebe Freundinnen und Freunde,
nach reiflicher Überlegung habe ich entschieden, bei der nächsten Bundestagswahl nicht erneut zu kandidieren. Es war und ist für mich eine außerordentliche Ehre, Euch seit 2009 im Bundestag vertreten zu dürfen. Mit Leidenschaft und Engagement habe ich mich meinen Aufgaben gewidmet, stets mit dem Ziel, einen Bei-trag zu einer demokratischen, sozialen und nachhaltigen Gesellschaft zu leisten.
Auch wenn ich ursprünglich geplant hatte, mich auf drei Legislaturperioden zu beschrän-ken, wollte ich 2021 meine Erfahrungen in die Regierungsarbeit einbringen und so die Chance ergreifen, unser Land endlich mitzugestalten. Nun ist Zeit für etwas Neues. Unser politisches System lebt davon, dass sich möglichst viele Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Sichtweisen einbringen und Verantwortung übernehmen. Daher möchte ich jetzt Platz machen.
Ich blicke auf eine intensive, ereignisreiche Zeit zurück und bin unendlich dankbar, dass Ihr mir über all die Jahre Euer Vertrauen geschenkt habt. Ich bin dankbar für die vielen interessanten Begegnungen, ob in meinem Wahlkreis, in Rheinland-Pfalz, Berlin oder bundesweit und während meiner Delegationsreisen ins Ausland. Diese haben immer wieder den Blick geschärft. So wurde mir nicht zuletzt in Aserbaidschan deutlich vor Augen geführt, wie wichtig Integrität und Haltung gerade für eine Mandatsträgerin sind. Dem habe ich stets versucht, gerecht zu werden.
Gerade die vergangenen Jahre waren voller bewegender Momente und Herausforderungen, insbesondere während der Pandemie. Ich habe mich dabei stets von meinem inneren Kompass leiten lassen, auch wenn dies bedeutete, nicht immer im Einklang mit der Mehrheitsmeinung auch meiner Fraktion zu stehen. Mein Einsatz galt fortwährend einer freien demokratischen Diskussionskultur, dem Miteinander und dem Zusammenhalt sowie der freien Entfaltung jedes Einzelnen im gegenseitigen Respekt und in Verantwortung füreinander. Das hat mein politisches Handeln von Anfang an geleitet.
Als dreimalige Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz und zuvor als Landesvorsitzende und langjährige Kommunalpolitikerin habe ich immer einen lebendigen Austausch mit Bürger:innen gepflegt, Euch wann immer möglich unterstützt und mich als Allrounderin in viele Themen von Energie- und Verkehrspolitik über Sozial- und Wirtschaftspolitik bis zur Bildungs- und Familienpolitik eingearbeitet. Auch die Erfahrungen aus meinem ehrenamtlichen Engagement in Vereinen wie Rheinhessen gegen Rechts, Bürgerinitiativen gegen Kohlekraft, Bahnlärm- und Fluglärm sowie in Elterninitiativen oder dem VAMV habe ich in die Fraktionsarbeit eingebracht.
Wenn ich zurückblicke, bin ich froh zu sehen, dass ich einiges bewegen konnte: Den gewonnenen Kampf gegen den Bau eines Kohlekraftwerks in Mainz und mit meinem Engagement für den Ausbau der erneuerbaren Energien – auch in den Aufsichtsräten der Unternehmen, die das Kohlekraftwerk bis zur Genehmigung vorangetrieben hatten. Das 2014 erstrittene ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts nach der „Causa Brender“, in der politische Einflussnahme ungeniert ausgeübt wurde, mit meinem stetigen Einsatz für mehr Staatsferne, journalistische Unabhängigkeit und Medienfreiheit, den Erhalt einer vielfältigen, unabhängigen Medienlandschaft und für eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – für mich als ehemalige Journalistin eine Herzensangelegenheit. Die Medienpolitik war mir immer besonders wichtig, denn sie ist Demokratiepolitik.
Mit dieser Motivation habe ich mich auch in der Digitalpolitik für eine gemeinwohlorientier-te und nachhaltige Digitalisierung eingesetzt, für digitale Bildung und Teilhabe und für die Regulierung großer Internetkonzerne, damit die Nutzer:innen im ungleichen Machtverhältnis gegenüber großen Plattformbetreibern nicht ins Hintertreffen geraten. Nie war ich der Meinung, wir müssten die Digitalisierung als neues, übermächtiges Phänomen einfach so über uns ergehen lassen. Früh habe ich sie als Chance und Gestaltungsraum begriffen. Als Vorsitzende des Ausschusses für Digitales oder als grüne Digitalpolitikerin konnte ich entscheidende Akzente setzen, ob in den großen Fraktionskonferenzen „nachhaltig by design“ und „Shaping AI“ oder bei der Implementierung des Digital Services Act und des AI Act. Das Ziel war es stets, die Rechte der Nutzer:innen zu stärken, die Verantwortung der Plattformen zu erhöhen sowie verbindliche Standards für neue Technologien wie den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu setzen. Auch der Breitband- und Mobilfunkausbau war mir ein großes Anliegen, um die digitale Teilhabe vor allem im ländlichen Raum zu verbessern. Bereits in meiner ersten Wahlperiode habe ich das Recht auf einen leistungsfähigen Internetzugang gefordert, jetzt endlich konnten wir diesen Rechtsanspruch umsetzen. Ebenso setze ich mich für nachhaltigen Konsum und ein „Recht auf Reparatur“ ein, damit Rohstoffe geschont und zugleich Verbraucher:innen gestärkt werden. Ich bin zuversichtlich, dass die Bundesregierung die EU-Richtlinie noch in dieser Legislaturperiode umsetzen wird. Dafür werde ich weiter streiten.
In der Politik kann man also vieles bewegen und unsagbar viel lernen. Dafür bin ich sehr dankbar. Auch wie meine am Flughafen vergessene Tasche zum #Taschengate hochgeschrieben und skandalisiert wurde – Tasche samt Zeitungsartikel sind übrigens heute Ausstellungsstücke im Ledermuseum Offenbach.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass mehr Menschen den Mut finden, sich für unsere De-mokratie zu engagieren und ihre Meinungen einzubringen. Offene Debattenräume, in denen unterschiedliche Auffassungen respektvoll ausgetauscht und nicht zuletzt vernünftig und lösungsorientiert diskutiert werden können, sind dafür unerlässlich. Auch Fehleranalysen gehören zum demokratischen Prozess, und es täte allen Beteiligten gut, sie als Grundlage für zukünftig bessere Sachentscheidungen zu nutzen – anstelle von Skandalisierung und Pflege politischer Gegnerschaft. In diesem Sinne halte ich eine ehrliche und fundierte Auf-arbeitung der Corona-Pandemie und ihrer Auswirkungen auf unsere Gesellschaft für sehr wichtig.
Als ehemalige Journalistin erwarte ich insbesondere von meiner Berufsbranche, den Medien, sich weniger auf Krisen und Konflikte zu fokussieren und zu skandalisieren. Sie sollten die Vielfalt der Meinungen aufzeigen, denn Streit und das Ringen um Lösungen sind urdemokratisch. Das gilt auch mit Blick auf die Ampel, die in einer schwierigen Dreierkonstellation – anders als öffentlich wahrnehmbar – vieles erreicht hat. Gleichwohl haben wir Politiker:innen ebenso Hausaufgaben zu machen: Die Politik darf sich nicht gegenüber den Menschen abschotten, die sie repräsentiert. Sie muss vielmehr bereit sein, verstärkt den Kontakt zu den Menschen vor Ort zu suchen, gerade auch zu denen, die anderer Meinung sind, und deren Sorgen und Nöte ernst nehmen, und nicht mit den eingeübten Sprechblasen reagieren. Nur so können wir Spaltung überwinden und unsere Demokratie stärken. Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass ein Großteil der Menschen beispielsweise ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen, sie sich aber oft überlastet fühlen. Ihnen müssen wir unsere Politik erklären, ihre Kritik aufnehmen, und vor allem müssen wir ihnen gangbare Lösungen und Anreize bieten.
So ist mein Anspruch. Und wer mich kennt, weiß, dass ich mein Mandat bis zum Ende gewissenhaft und engagiert ausüben und keine Abstriche machen werde – das betrachte ich als meine Pflicht gegenüber den Wähler:innen. Ihnen möchte ich für das stets große Vertrauen danken, das sie mir über Jahre hinweg geschenkt haben. Es war und ist noch eine intensive Zeit, nie einfach im Ringen um gemeinwohlorientierte Lösungen, aber erfüllend und absolut bereichernd.
Herzlichst,
Eure Tabea
Wir haben zu danken!
♥