Gastbeitrag in der FAZ: Mehr Mut und mehr Kreativität
Am 27. April 2021 habe ich in der Frankfurter Allgemeine Zeitung einen einen Gastbeitrag zur Debatte um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veröffentlicht. Sie können den Text unten oder hier (Bezahlschranke) nachlesen.
Eine siebenstündige Reportage über die Situation in der Pflege lief Ende März zur besten Sendezeit über die Fernsehbildschirme. Die Zuschauerinnen und Zuschauer konnten eine ganze Frühschicht im Knochenmark- und Transplantationszentrum der Uniklinik Münster hautnah miterleben, aus der Perspektive einer Pflegekraft. Der Sender, der dies ermöglichte, war allerdings kein öffentlich-rechtlicher. Den Mut zu diesem unkonventionellen, unformatierten Format brachte ProSieben auf und räumte dem Moderatorenduo Joko und Klaas für #nichtselbständlich den ganzen Abend frei. Warum ist das erwähnenswert? Weil man so etwas eher von öffentlich-rechtlichen Sendern erwarten würde, als von einem auf Quoten fixierten Privatsender. Ein solches Experiment funktioniert aber nur, weil es mutig mit dem Gewohnten und Erwartbaren bricht.
Diesen Mut wünschen sich viele Zuschauer:innen gerade bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, auf denen Dokumentationen ins Nachtprogramm geschoben, Inhalte in feste Formate gepresst werden und die täglichen Krimis allmählich Langeweile aufkommen lassen. Das Klammern an Format-Fernsehen und Format-Radio ist Ausdruck einer großen Verunsicherung der Programmmacher:innen. Kein Wunder: Steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk doch unter Druck wie nie zuvor.
Seine Bedeutung für die freie Meinungsbildung in unserer demokratischen Gesellschaft und der Wert dieses staatsfern finanzierten Rundfunksystems, das die Beitragszahlerinnen und -zahler tragen, werden immer wieder betont. Dennoch ist einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung die journalistische Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht ausreichend bewusst. So konnte nur die Hälfte der Befragten einer aktuellen Studie zufolge, die im Auftrag der Stiftung Neue Verantwortung die digitalen Nachrichten- und Informationskompetenzen untersuchte, die Frage richtig beantworten, ob Bundestagsabgeordnete über die Berichterstattung der Sender entscheiden können. Auch denken 35 Prozent der Befragten, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei der Staatsministerin für Kultur und Medien unterstellt (40 Prozent antworteten zudem „weiß nicht“). Daher ist eine öffentliche Debatte, die in der Breite der Gesellschaft über den Wert eines staats- und gruppenfernen öffentlichen Angebots für unsere demokratische Gesellschaft geführt wird, dringend geboten – nicht zuletzt im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA, wo das private Mediensystem eine unrühmliche Rolle bei der Spaltung der amerikanischen Gesellschaft gespielt hat. Eine solche Debatte könnte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wieder stärker in der Gesellschaft verankern.
Es ist zu begrüßen, dass nun auch der WDR-Intendant Tom Buhrow Denkanstöße über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt und die FAZ diese Diskussion aufgreift. Die Debatte darf aber nicht nur eine medienpolitische, sondern muss eine demokratiepolitische sein. Für die zukünftige Ausrichtung unseres Rundfunksystems, das nach den Erfahrungen im Nationalsozialismus nicht zuletzt mit dem Ziel begründet wurde, die Demokratie in der Bundesrepublik zu stärken, muss auch eine Auseinandersetzung mit der Entwicklung unserer heutigen Kommunikation insbesondere im Internet erfolgen, wo Desinformation und Hate Speech den demokratischen Diskurs verzerren.
Dabei geht es um die zentrale Frage: Wie kann ein öffentlich-rechtliches Angebot seine Aufgabe erfüllen, eine vor Missbrauch und Manipulation geschützte unabhängige Willensbildung in einer zunehmend digitalen Welt zu gewährleisten? Dabei kommt dem Auftrag, für eine verlässliche und qualitativ hochwertige, der Wahrheit verpflichteten mediale Grundversorgung zu sorgen, eine wachsende Bedeutung zu.
Bisher wurde die Debatte um den zukünftigen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter vor allem in Fachkreisen geführt. Woran es aber vor allem bisher fehlte, ist der Mut, einen breiten Diskurs in die Gesellschaft zu tragen und die notwendigen Reformen auch wirklich anzugehen.
Die Medienpolitik hat vermieden, den bisherigen Auftrag unter publizistischen Gesichtspunkten neu zu justieren. Stattdessen wurde alles durch die Brille der Beitragsstabilität betrachtet. Da aber die Finanzierung der Anstalten dem Auftrag zu folgen hat, muss die Debatte zunächst am Auftrag der Rundfunkanstalten ansetzen. Diesen unter Beachtung der Programmautonomie der Anstalten – ggf. auch einschränkend – zu konkretisieren, ist letztlich die Aufgabe der Länderparlamente, die ja schließlich die Sender mit ihrem breiten Portfolio beauftragt haben. Recht hat der sächsische Staatskanzlei-Chef Oliver Schenk, dass „Wagenburg-Mentalität und Denken in Besitzständen“ hier fehl am Platze seien. Doch wie kann ein solcher Prozess gelingen?
Da der öffentlich-rechtlicher Rundfunk als Treuhänder der kommunikativen Interessen der Bürger:innen fungiert, sollte am Anfang die breite, aber strukturierte gesellschaftliche Debatte stehen, die bereits vor vier Jahren in den von mir initiierten „10 Thesen zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ (Link: https://zukunft-öffentlich-rechtliche.de) eingefordert wurde. Die Impulse aus dieser Debatte sollte eine unabhängige Expertenkommission aufnehmen und zu Vorschlägen für den künftigen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter verdichten. Welche Leistung öffentlich-rechtliche Medien in einer durch Desinformation, Missbrauch und Manipulation gefährdeten digitalen Welt erbringen müssen, können am besten Demokratieforscher:innen, Kommunkationswissenschaftler:innen und Medienrechtler:innen beantworten. In der Schweiz wurde Ähnliches schon praktiziert. Durch die Zwischenschaltung einer solchen unabhängigen Expertenkommission könnten die von Schenk kritisierte Wagenburg-Mentalität der Politik aufgebrochen werden. Die Vorschläge der Expert:innen könnten in der Länderrundfunkkommission und den Medienausschüssen der Länderparlamente unter Einbeziehung der Sender diskutiert werden, bevor die Landtage zu breit abgesicherten und Expertenwissen einbeziehenden Entscheidungen über den zukünftigen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kommen.
Meiner Ansicht nach muss die Reform von einem möglichen Endpunkt der Transformation der Sender ins Digitale ausgehen. Dieser Endpunkt könnte in der Schaffung einer gemeinsamen digitalen, dem Public Value verpflichtete Medienplattform liegen, bei deren Angeboten die Bereiche Information, Bildung und Kultur weiter gestärkt werden sollten. Unterhaltungsangebote gehören weiterhin zum Auftrag der Sender, aber hier muss mit dem öffentlich-rechtlichen Profil ernst gemacht werden. Zugleich sollte eine solche Plattform offen sein für hochwertige publizistische Angebote Dritter, sie muss aber werbefrei sein.
Die Gewährleistung des Audience Flow wird im Netz nicht mehr funktionieren. An dessen Stelle muss ein Quality Flow treten, um Nutzer:innen auf Dauer für öffentlich-rechtliche Angebote zu gewinnen. Wenn die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verstärkt im Internet liegt, muss zum einen die Vielzahl der bisherigen Programme auf ihre publizistische Erforderlichkeit hin überprüft werden. Eine bloße Übertragung der Entscheidung über Ausspielwege an die Sender würde der politischen Verantwortung der Länder wohl nicht gerecht. Zum anderen muss der Online-Auftrag den Anstalten die publizistische Freiheit geben, ihre Angebote auf die Logik des Netzes hin zu gestalten. Einschränkungen im Textanteil oder die Beschränkung auf eine bloße Teaserfunktion sind da sicher nicht hilfreich. Durch eine angemessene publizistische Freiheit können auf der hier vorgeschlagenen öffentlich-rechtlichen Plattform Formate aufgebrochen und Neues erfunden werden. Das und die stärkere Verankerung in der Zivilgesellschaft könnten den Mut der Programmmacher:innen zu mehr Kreativität fördern. Dafür wird sich auch eine Audience finden. Joko und Klaas haben gezeigt, wie es gehen kann.
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