Rede zum Pauschalreisevertragsrecht am 17.06.2020
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Wir haben selten Grund, die Bundesregierung zu loben. Heute will ich das tun, weil Sie eine Lernkurve hingelegt haben. Die ist zwar eher flach als steil, und Sie brauchten etwas Nachhilfeunterricht, aber Sie setzen den Vorschlag der Grünen um und führen eine freiwillige Gutscheinlösung in der Reisebranche ein. Das ist gut.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU])
Zur Erinnerung: Anfang April hatte das Coronakabinett Zwangsgutscheine für Pauschalreisen, Flugtickets und Freizeitveranstaltungen beschlossen. Im Veranstaltungsbereich haben Sie diese auf dem Rücken der Verbraucherinnen und Verbraucher durchgedrückt. Bei Pauschalreisen und Flügen hat Sie aber die EU-Kommission zurückgepfiffen. Es stimmt also nicht so ganz, wenn Sie,Frau Bundesjustizministerin, sagen, Sie hätten eine Lösung gefunden. – Sei es drum. Die Frage aber ist: Hilft diese Lösung?
(Michael Donth [CDU/CSU]: Sie wollen uns doch loben!)
Der Gesetzentwurf ist nicht verkehrt, kommt aber viel zu spät. Heute gab es wieder eine große Demo der Reiseunternehmen, weil sie sich von der Bundesregierung durch Zögern und Zaudern an den Abgrund ihrer Existenz befördert sehen. Schon vor Wochen hätten Reiseunternehmen ihre Kunden mit attraktiven Gutscheinangeboten besänftigen können. Sie haben aber erst einmal Wut und Verunsicherung hervorgerufen. Heute haben wir im Rechtsausschuss darüber gesprochen, wie viele Menschen seit Monaten auf die Rückerstattung warten. Manche bekamen nicht einmal eine Antwort von ihrer Fluggesellschaft. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE])
Fraglich ist auch, ob die Regelung wirklich die Liquidität der Unternehmen erhält. Das Geld bleibt ja nicht bei den Reisebüros. Im Gegenteil: Die haben einen zusätzlichen Aufwand mit der Abwicklung der Gutscheine. Und das kleine Reisebüro vor Ort, das seine Kundinnen und Kunden kennt, kann diese nicht einfach hinhalten. Das würde die vertrauensvolle Kundenbeziehung dauerhaft zerstören. Das ist für die Branche nicht gut.
Den Branchenriesen ist der einzelne Kunde dagegen ziemlich egal. Vielleicht sollten Sie Ihre Prioritätensetzung noch einmal überdenken. Während Sie große Unternehmen von TUI bis Lufthansa mit milliardenschweren Hilfspaketen unterstützen, lassen Sie die kleinen Reiseunternehmen und die Verbraucherinnen und Verbraucher im Stich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Die kriegen doch ihr Geld!)
Das Konjunkturpaket kommt sicher auch der Reisebranche zugute. Für viele aber ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir Grüne fordern deshalb einen Rettungsfonds für die Tourismuswirtschaft, und der ist auch umfassender als das, was die FDP will. Nur damit können auch kleine Reiseveranstalter und Reisebüros den Rückerstattungsansprüchen nachkommen und das Geld an die Kundinnen und Kunden auszahlen und vor drohender Insolvenz bewahrt werden.
Gerade für die vielen ländlichen Regionen ist Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig. Dafür müssen die Strukturen erhalten bleiben. Insgesamt braucht es nachhaltigere Lösungen. Es ist zum Beispiel lange überfällig, die Insolvenzregelungen im Pauschalreiserecht anzupassen. Wir sollten auch das Geschäftsmodell im Flugverkehr, bei dem Kunden weit im Voraus das komplette Ticket bezahlen und damit einen Kredit geben müssen, was sich ja jetzt in der Krise als Brandbeschleuniger erweist, hinterfragen.
Vizepräsident in Claudia Roth: Kommen Sie bitte zum Schluss.
All das gehen Sie trotz des dringenden Handlungsbedarfs bedauerlicherweise nicht an. Denn eines ist klar: Die freiwillige Gutscheinlösung allein wird den Tourismus nicht retten.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Marcel Klinge [FDP] und Kerstin Kassner [DIE LINKE])
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