Im Auftrag der Menschenrechte: Tabea Rößner zur Wahlbeobachtung in der Ukraine

Am 31. März 2019 fanden in der Ukraine Präsidentschaftswahlen statt. Zusammen mit einer 37-köpfigen Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarats war MdB Tabea Rößner als Wahlbeobachterin vor Ort, um der dortigen Bevölkerung freie, faire und transparente Wahlen zu ermöglichen. 39 Kandidierende waren zur Wahl angetreten, unter ihnen einige Zählkandidat*innen. Die Umfragen hatten vor allem den amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko, den bekannten Comedian Wolodymyr Selenskyj und die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julija Timoschenko vorn gesehen. Nach Auszählung der Stimmen liegt Selenskyj mit 30 Prozent klar vorne. Er wird in der Stichwahl am Ostersonntag gegen Poroschenko antreten, der 16 Prozent der Wählerstimmen für sich gewinnen konnte. 

Als wir am Wahlabend zum letztenvon insgesamt 14 Wahllokalen kamen, wurden wir bereits sehnlichst erwartet.Einige Wähler wollten nur unter Aufsicht internationaler Beobachter ihre Stimmeabgeben. Zu groß war das Misstrauen, nachdem es zuvor Berichte über Stimmenkaufoder den Einsatz öffentlicher Mittel für bestimmte Kandidaten gegeben hatte.Doch zur Erleichterung vieler verlief die Wahl frei und grobe Verletzungenkonnten wir nicht feststellen. Die Wahlvorstände arbeiteten professionell.Bereits bei Versuchen, ein Foto in der Wahlkabine zu machen oder mit derHandy-Taschenlampe den 80 cm langen Wahlzettel besser lesen zu können, wurdeeingeschritten.

Das größte Problem waren dieWählerlisten: einigen Wählern wurde die Teilnahme an der Wahl verweigert, weilsie nicht im Verzeichnis aufgeführt oder weil die von ihnen hinterlegtenpersönlichen Daten veraltet waren. So zum Beispiel führten fehlerhafte Namens-und Adressangaben, die sich aufgrund von Heirat oder Umzug verändert hatten,zum Wahlausschluss. Das traf viele Wähler*innen unvorbereitet, sie hatten ihreAngaben im Vorhinein nicht mehr überprüft. Dahingegen wurden teilweise bereitsVerstorbene Bürger noch in den Wahllisten geführt.

Ob diese absichtlich fehlerhaftwaren oder es sich lediglich um einen Fehler beim Zusammenführen mehrere Listenim Vorfeld der Wahl handelte, kann ich nicht beurteilen. Allerdings konnten auchetwa zwei Millionen in Russland lebende Ukrainer*innen nicht wählen. EinProblem, für das es in der Zukunft eine Regelung geben muss. Diese Thematikwird auch im gemeinsamen Abschlussbericht der internationalenWahlbeobachtungsmission gründlich beleuchtet werden.

Als Wahlbeobachter in Odessa: Birgir Thorarinsson und Tabea Rößner.

Genauer als den Wahltag sollteman sich aber den Verlauf des Wahlkampfes anschauen, in dem die Kandidierendensich nichts schenkten. Bekannt ist beispielsweise ein Abhörskandal, nachdemAbhöranlagen in den Büroräumen Selenskyjs gefunden wurden. Auch wenn diesSelenskyj offensichtlich nicht schaden konnte, sind solch schmutzigeInstrumente zu verurteilen. Kritisch zu betrachten ist auch der Umstand, dassmehrere ausländische Korrespondenten zur Wahl nicht einreisen durften, darunterauch Reporter aus der EU. Russischen Wahlbeobachtern wurde die Teilnahme sogarper Gesetz untersagt.

Erstaunlich am bisherigenWahlergebnis ist, dass mit Selenskyj ein Kandidat die meisten Stimmen erhielt,der sich in keiner Weise am klassischen Wahlkampf beteiligt hat. Er nahm wederan Debatten teil, noch gab er Interviews oder äußerte sich zu den zentralenFragen der Außenpolitik, der Ostukraine und der Krim. Unterstützt wurde er vommächtigen Medienmogul Igor Kolomojskij, Kritiker gehen sogar so weit, ihn alsseine Marionette zu bezeichnen. Der Erfolg Selenskyjs begründet sich wohl eherin der Enttäuschung über Poroschenko und bedeutet ein Abstrafen der altenEliten. Dazu passt eine Umfrage, der zu Folge die meisten Leute gar nichtüberprüft haben, ob Selenskyj ihre Meinung tatsächlich vertritt. Der Comedianwurde vor allem durch seine Shows und Serien gepusht, die offensichtlich vonlanger Hand geplant sein müssen. Denn am Vortag der Wahl, an dem keinKampagnenmaterial mehr in den Straßen hängen und keine Werbespots mehr imFernsehen gezeigt werden dürfen, lief im Fernsehen die dritte Staffel der beliebtenTV-Serie »Diener des Volkes«, in der Selenskyj in der Rolle des Präsidenten zusehen ist. Überdies wurde eine Dokumentation über Ronald Reagan, denSchauspieler, der Präsident wurde, ausgestrahlt. Synchronisiert von WolodymyrSelenskyj.

Aufgrund der oligarchischenStrukturen ist es sehr schwierig, die Hintergründe vollends zu begreifen. EinGroßteil der Kandidat*innen wurde zudem von verschiedenen Oligarchenunterstützt, welche aber oftmals mehrere Pferde ins Rennen schickten. Diesermöglichte zwar eine Vielfalt an Kandidat*innen und damit eine scheinbareAuswahl, aber ob damit auch die Interessen der Bevölkerung vertreten werden,ist fraglich. Ferner liegen auch die zehn reichweitenstärksten Fernsehsender inden Händen der Oligarchen, was eine enorme Meinungsmacht bedeutet. Insgesamtsind in der Ukraine viele Menschen nach den Maidan-Protesten und dereneigentlich klarer anti-oligarchischer Ausrichtung enttäuscht von der PolitikPoroschenkos, der die Korruptionsbekämpfung bisher nur halbherzig angegangenist. Auch wenn NGOs sich nun selbstkritisch fragen, ob sie vielleicht zu sehrauf das geschaut hätten, was nicht umgesetzt wurde, anstatt auf die kleinenFortschritte, die es ja durchaus gibt. Der erhoffte Umschwung ist seit derletzten Wahl nicht eingetreten. Und so haben statt der prognostizierten Wahlbeteiligungvon 80 Prozent auch nur 63 Prozent der Bevölkerung ihre Stimme abgegeben. ObAmtsinhaber Poroschenko bei der Stichwahl doch mehr Wähler für sichmobilisieren kann als sein Herausforderer Selenskyj, wird sich zeigen. Es bleibtspannend.

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