Gastbeitrag für epd Medien: „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Wichtiger denn je!“

In der epd Medien-Ausgabe Nr. 48 vom 30. November 2018 habe ich den folgenden Gastbeitrag zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veröffentlicht. Sie können ihn auch hier bei der epd medien nachlesen.

Wichtiger denn je

Die Bedeutung der Öffentlich-Rechtlichen für die Meinungsbildung / Von Tabea Rößner

Es ist geradezu in Mode gekommen, auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzudreschen. Gerne wird dabei vom Staatsfunk gesprochen oder von Lügenpresse – letzteren Begriff verwendeten schon die Nationalsozialisten, um Journalisten zu diskreditieren und gegen Kritiker vorzugehen. Ähnliches erleben wir heute wieder: Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird unterstellt, er würde vom Bundeskanzleramt gesteuert. Journalisten werden angefeindet, bei ihrer Arbeit behindert oder sogar tätlich angegriffen. Initiativen rufen dazu auf, den Rundfunkbeitrag zu boykottieren, und eigentlich wäre es einigen Kreisen am liebsten, man würde die Sender gleich ganz abschaffen.

Selbst in Fachkreisen gibt es Kritiker, die ein öffentliches Programm nicht als notwendig erachten. Die Fülle der Angebote im Internet ist in ihren Augen so groß wie nie, der öffentlich-rechtliche Rundfunk solle doch – wenn überhaupt – nur noch Nischen abdecken. Und auch diejenigen, die in der Medienpolitik die Grundlage für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schaffen, die Chefs der Länder, haben es versäumt, den Wert dieser für unsere Demokratie so wichtigen Institution immer wieder herauszustellen. Medienpolitik wird vorwiegend in den Hinterzimmern der Staatskanzleien gemacht, und die Medienpolitiker der Länder halten es nicht für erforderlich, rauszugehen und in der Öffentlichkeit für das öffentlich-rechtliche System zu werben und – wenn es sein muss – auch zu kämpfen. Dabei geht es richtig um was: Denn das öffentlich-rechtliche Angebot ist zentral für die Meinungsvielfalt und die demokratische Willensbildung unserer Gesellschaft.

Überfällige Debatte

Ich bin der festen Überzeugung, dass ein öffentlich-rechtliches Angebot in unserer zunehmend digitalen Welt notwendiger ist denn je. Andere Länder beneiden uns um unser öffentlich-rechtliches Programm, das von der Allgemeinheit und damit unabhängig finanziert wird und hohen journalistischen Standards ganz besonders verpflichtet ist.

Es muss sich aber wandeln, der Auftrag muss angesichts des sich radikal wandelnden Informations- und Kommunikationsverhaltens überprüft und zukunftstauglich gemacht werden. Eine konstruktive Debatte darüber ist seit Jahren überfällig. Nur wenn wir die Debatte endlich gesellschaftlich breit führen, darüber, welchen Wert unabhängige und der Wahrheit verpflichtete öffentlich-rechtliche Medien für die Gesellschaft haben und wie diese ausgestaltet sein müssen, damit sie in der digitalisierten Welt ihren Auftrag erfüllen können, nur dann erobert sich vielleicht auch die Gesellschaft ihren Öffentlich-Rechtlichen wieder zurück.

Um sich dieses Wertes zu vergewissern, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Denn auch wenn sich seit seinen Gründungszeiten vieles verändert hat, ist doch die grundlegende Motivation für ein öffentlich-rechtliches Medienangebot heute mindestens so bedeutend wie damals.

Nach 1945 hatten die Begründer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks das Ziel, demokratische Strukturen zu sichern und den Missbrauch durch autokratische oder diktatorische Regime zu verhindern. Denn mit der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten war der Rundfunk genau zu dem geworden, was es dringend zu verhindern galt: einem Staatsfunk, der als Massenmedium durch das Hitler-Regime zu Propagandazwecken missbraucht wurde. Nun sollten Informationsvermittlung und ein gesellschaftlich-demokratischer Meinungsbildungsprozess fern von Staat und Markt gewährleistet werden.

Nach dem Vorbild der britischen BBC wurde ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem entwickelt, dabei föderal – im staatsrechtlichen Sinne „gebrochen“ – organisiert, reguliert und durch die Gesellschaft finanziert, um Unabhängigkeit und Staatsferne zu sichern. Als in den 1980er Jahren der private Rundfunk aufkam, wurde das duale Rundfunksystem geschaffen: Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sollten die öffentliche Grundversorgung für eine unabhängige Meinungsbildung gewährleisten. Nur wenn die Anstalten ihren Auftrag erfüllten, seien Vielfaltsdefizite bei den Privaten, die sich weitgehend über Werbung finanzieren, hinnehmbar, so das Bundesverfassungsgericht.

Heute erleben wir einen viel radikaleren Wandel der gesellschaftlichen Kommunikation. Das Internet hat den Raum für den gesellschaftlichen Diskurs weiter geöffnet. Wir haben fast unbegrenzten Zugang zu verschiedensten Informations- und Kommunikationsräumen. Für die öffentliche Willensbildung eigentlich ein Traum. Überall wird gesprochen, gelikt, gepostet, gechattet, gebloggt und gestreamt. Kanäle und Angebote sowie die Möglichkeit, sich in öffentliche Debatten einzubringen, gibt es zuhauf.

Fragmentierte Öffentlichkeiten

Die Frage ist aber: Wo finden welche Debatten statt, und bekomme ich die mit? Wo finde ich welche Angebote und was bekomme ich angezeigt? Was taucht in meiner Timeline überhaupt auf? Und wer entscheidet eigentlich, was ich sehe? Eine unendliche Zahl an Foren, Plattformen und Angeboten lassen sogenannte fragmentierte Öffentlichkeiten im Netz entstehen. Filterblasen oder „Echokammern“, die zwar vordergründig Orientierung in den unendlichen Weiten des Internets bieten, aber eben auch verhindern, dass man über den eigenen Tellerrand hinausschaut. Sie bestätigen vor allem die eigene Sichtweise. Diese Selbstreferenzialität wie auch die zunehmende Komplexität der Aufgabe, Informationen selbst sondieren, einordnen oder überprüfen zu müssen, haben sicher ihren Anteil daran, dass gezielte Desinformation durch „Fake-News“-Kampagnen fruchten können.

Es stellt sich daher die Frage, wie eine vor Missbrauch und Manipulation geschützte unabhängige Willensbildung auch im Netz ermöglicht wird. Dafür braucht es einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Denn seine grundlegende Aufgabe, für eine verlässliche und qualitativ hochwertige, der Wahrheit verpflichteten mediale Grundversorgung zu sorgen, ist alles andere als hinfällig. Im Gegenteil: Diese Aufgabe gewinnt an Bedeutung. Es gibt sicher auch gute private Angebote wie die Qualitätspresse. Diese sind aber Marktprinzipien ausgesetzt. Und bei zum Teil erheblichen Schwierigkeiten, Finanzierungsmodelle zu entwickeln, werden oft genug journalistische Standards heruntergeschraubt.

Wie also muss ein öffentlich-rechtliches Angebot weiterentwickelt werden, um seiner öffentlichen Aufgabe auch zukünftig nachkommen zu können? Statt über die Höhe des Haushaltsbeitrags zu diskutieren – was leider zurzeit vornehmlich passiert, bedarf es zunächst einer grundsätzlichen Überprüfung des Auftrags. Danach richtet sich alles andere, auch die Finanzierung. Denn: Der Beitrag folgt dem Auftrag und nicht umgekehrt. Und die Sendeanstalten dürfen angesichts der gravierenden strukturellen Veränderungen auch harte Reformen nicht scheuen. Diese sind definitiv notwendig.

Zuallererst müssen wir uns fragen: Wo und wie findet der Meinungsbildungsprozess statt, wie soll öffentliche Willensbildung zukünftig erfolgen und welche Aufgaben kann und muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk in einer digitalen Welt übernehmen?

Vielfältiges Meinungsbild

Auch wenn der Fernseher bei den Zuschauerinnen und Zuschauern noch den zentralen Platz einnimmt, nimmt die lineare Nutzung stetig ab. Vor allem junge Menschen informieren sich fast ausschließlich im Internet über Plattformen wie Youtube und andere soziale Netzwerke. Daher suchen schon heute viele öffentlich-rechtliche Angebote auf diesen Plattformen ihr Publikum. Der Nachteil ist, dass viele Nutzerinnen und Nutzer diese Angebote nicht als öffentlich-rechtliche wahrnehmen. Ein öffentlich-rechtliches Angebot muss also als „Marke“, die für Qualität, gute Recherche und Wahrhaftigkeit steht, erkennbar sein.

Zugleich individualisiert sich die Medienrezeption immer mehr. Den intransparenten Selektionsprozessen und Fragmentierungstendenzen von Plattformen wie Facebook und Youtube muss das öffentlich-rechtliche Angebot entgegenwirken und darf den Weg der Individualisierung und Verspartung nicht noch verstärken. Die Gewährleistung eines vielfältigen Meinungsbildes muss daher Schwerpunkt des zukünftigen Auftrages sein. Das öffentlich-rechtliche Angebot muss alle Menschen erreichen können und einen gemeinsamen Kommunikationsraum bieten, damit gesellschaftliche Debatten nicht isoliert stattfinden.

Es muss also Öffentlichkeit wiederherstellen. Dafür ist eine öffentlich-rechtliche Plattform notwendig, die offene Räume für den demokratischen Diskurs schafft und alle gesellschaftlichen Gruppen einbezieht. Inhalte dürften nicht mehr einfach auf Drittplattformen verbreitet werden – von dem kostenfrei zur Verfügung gestellten Content profitieren im Übrigen vor allem die großen Konzerne -, und die Menschen müssten über Inhalte dort abgeholt werden, wo sie sich in der medialen Nutzung befinden, und auf die eigene öffentlich-rechtliche Plattform geleitet werden. Man könnte dieses Angebot in einer Art „Public open space“ wie es bei der BBC geplant ist zu einer öffentlichen Wissens- und Bildungsplattform weiterentwickeln mit einer gut organisierten Mediathek aller Beiträge. Wie dies umzusetzen wäre, muss noch diskutiert werden.

In jedem Fall müssen die öffentlich-rechtlichen Sender im Internet freier agieren und netzgerechte Formate für den Online-Sektor entwickeln können. Die Formate im Netz verbinden immer mehr Text mit Ton und Bewegtbild.

Konstruktives Miteinander

Bei der Beilegung des langjährigen und erbitterten Streits zwischen den Zeitungsverlegern und den öffentlich-rechtlichen Sendern über die „Tagesschau“-App und die Frage, wie viel Text die öffentlich-rechtlichen Angebote beinhalten dürfen, wurde den Anstalten ein enges Korsett auferlegt und ihnen die Verbreitung von überwiegend Bewegtbild ins Aufgabenheft geschrieben. Dies beschränkt meines Erachtens das öffentlich-rechtliche Angebot über Gebühr – ganz abgesehen davon, dass es nicht verfassungskonform ist. Denn die Festlegung auf Bewegtbild-Formate widerspricht dem Grundgedanken der Programmautonomie, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verfassungsrechtlich zugesichert wurde. Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen selbst entscheiden dürfen, in welcher Form sie dem Grundversorgungsgedanken entsprechen.

Zudem schränkt die überwiegende Festlegung auf Bewegtbild Auffindbarkeit und Barrierefreiheit ein. Statt sich das Leben gegenseitig schwer zu machen, sollten die öffentlich-rechtlichen und die privaten Medienhäuser aufeinander zugehen und im Diskurs die richtigen Strategien für die veränderte Medienöffentlichkeit entwickeln. Unser duales Rundfunksystem ist seit jeher darauf ausgelegt, dass beide Seiten sich gegenseitig befruchten. Bei einigen Projekten funktionieren Kooperationen wie beispielsweise bei Recherchenetzwerken, die Kompetenzen bündeln und investigativ arbeiten. Ein konstruktives Miteinander ist also möglich und kann für die Allgemeinheit von großem Nutzen sein.

Das bedeutet nicht, dass die öffentlich-rechtlichen Sender alles können und dürfen sollten. Der Auftrag muss hier neue, andere Grenzen bestimmen, um den Privaten Entfaltungsmöglichkeiten zu lassen. Deren ureigene Aufgabe ist es im Übrigen, sich um die Profitabilität ihrer Angebote selbst zu kümmern. Werbung, die zum Abfließen von Werbegeldern führen könnte, ist den Öffentlich-Rechtlichen im Netz ohnehin untersagt.

Die öffentliche Willensbildung ist partizipativer und direkter geworden. Die öffentlich-rechtlichen Medien sollten sich dieser Beteiligung stärker öffnen – das benötigt Ressourcen. Es gehört zu der originären Aufgabe, gesellschaftliche Debatten zu befördern und das gesamte Meinungsspektrum abzubilden. Dabei geht es nicht allein darum, unterschiedliche Perspektiven auf Themen aufzuzeigen und kritisch zu hinterfragen, sondern auch um Berichterstattung über Themen jenseits des Mainstreams und der meisten Klicks. In Zeiten von gezielten Desinformationskampagnen müssen die öffentlich-rechtlichen Medien gerade auch im Netz Einordnung und Orientierung geben, Behauptungen überprüfen und Verstrickungen transparent machen.

Unabhängige Expertenkommission

In Schweden gibt es beispielsweise eine Sendung, die Zuschauer zu Detektiven macht, sie Informationen selbst überprüfen lässt und ihre Erkenntnisse einfließen lässt. Solche Angebote, die der Netzlogik entsprechen, müssen entwickelt werden.  Dafür muss die Medienpolitik die Voraussetzungen schaffen. Und zwar besser heute als morgen. Leider ist dies nicht in Sicht.

Zwar wurde vor zweieinhalb Jahren eine Arbeitsgruppe zu „Auftrag und Struktur“ einberufen. Reformvorschläge für ein zukunftsfähiges öffentlich-rechtliches Angebot wurden aber bisher nicht vorgelegt.  Die Ministerpräsidenten scheuen die Diskussion, welche Angebote zur angemessenen Auftragserfüllung im Netz – auch gegebenenfalls gegen den Widerstand der Verleger – mit entsprechenden Kostenfolgen gestärkt werden und welche Angebote aus der alten Medienwelt im Gegenzug aufgegeben werden müssten. Schließlich erwarten sie ja – berechtigterweise – von den Landessendern eine gebührende Berichterstattung. Zudem müssen sich alle 16 Länder auf eine Reform verständigen, was äußerst mühsam und langwierig ist.

Es braucht daher eine Lösung von außen: eine unabhängige Expertenkommission, die ein zukunftsweisendes Konzept für ein öffentlich-rechtliches Angebot erarbeitet. Sie muss den Auftrag hinsichtlich der Aufgaben in einer durch Desinformation, Missbrauch und Manipulation gefährdeten digitalen Welt neu bewerten und Vorschläge für strukturelle Veränderungen machen. Soziologen, Medienwissenschaftler und Medienrechtler können am ehesten die Fragen beantworten, welche Leistung der öffentlich-rechtliche Rundfunk in einer netzbasierten Welt erbringen muss, und auch, welche Altangebote nicht mehr zeitgemäß und verzichtbar sind. Darin sehe ich im Moment die einzige Möglichkeit, die verfahrene Situation aufzulösen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk endlich einen zeitgemäßen Auftrag zu erteilen.

Was aber in der Vergangenheit vor allem versäumt wurde, war eine gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für unsere Demokratie und wie er sich weiterentwickeln muss. So gibt es schon seit Jahren Forderungen nach einer öffentlich-rechtlichen Suchmaschine, einem sozialen Netzwerk oder neuerdings nach einem öffentlich-rechtlichen Algorithmus.

Diskussionen darüber haben auch im politischen Raum kaum stattgefunden. Wir brauchen diese Debatten aber dringend – gerade auch im öffentlich-rechtlichen Programm. Der Diskurs über die Frage, was uns ein öffentlich-rechtliches Angebot wert ist und was die Gesellschaft an Erwartungen daran hat, muss breit angelegt und öffentlich geführt werden. Denn die an sie gestellten hohen Ansprüche können die Medienhäuser nur erfüllen, wenn die Gesellschaft diese auch formuliert. Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir alle dann auch wieder uneingeschränkt Ja sagen zu unserem Öffentlich-Rechtlichen. 

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