Deutscher Bundestag/Achim Melde

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Rede zur abschließenden Beratung zum Filmförderungsgesetz am 10.11.16

Das deutsche Filmförderungsgesetz (FFG) legt unter anderem die Aufgaben und den Aufbau der Filmförderungsanstalt (FFA) fest und enthält Regelungen über das Verfahren der Förderungsvergabe. Das FFG verpflichtet diejenigen, die mit dem Zeigen von Filmen Geld verdienen – also zum Beispiel Kinos, Videowirtschaft und Fernsehveranstalter – Abgaben zu leisten, mit denen die Produktion von Filmen unterstützt wird.

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung  sind viele Veränderungen zum bisherigen Verfahren enthalten. Beispielsweise, dass im Verwaltungsrat und in den Fördergremien, die über eine Filmförderung entscheiden, zu gleichen Teilen Männer und Frauen vertreten sein sollen. Im Bereich Dokumentarfilm wird erstmals eine Sperrfristverkürzung ausprobiert, das heißt, dass Dokumentarfilme schneller nach ihrem Kinostart auch auf DVD, im Fernsehen oder auf Streamingplattformen verfügbar sind.

Wir als grüne Bundestagsfraktion finden aber, dass noch viel mehr Punkte hätten verändert werden müssen. Es sind immer noch viel zu wenig Kreative in den Fördergremien vertreten, die daher zu wenig Mitspracherecht haben. Als Folge werden Förderentscheidungen eher danach bewertet, ob ein Film wirtschaftlich großen Erfolg bringen wird, und weniger danach, ob ein Film künstlerisch wertvoll ist. Außerdem wollen wir, dass bei der Vergabe von Förderungen Frauen und Männer gleich berücksichtigt werden und stärker darauf geachtet wird, dass Filme unter fairen Arbeitsbedingungen und nachhaltigen und ökologischen Gesichtspunkten produziert werden. Unsere Vorschläge für ein besseres Filmförderungsgesetz haben wir daher in einem Entschließungsantrag formuliert.

In meiner Rede habe ich unsere Position noch einmal deutlich gemacht:

Und hier ist die Rede im vollen Wortlaut:

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Staatsministerin Grütters, mit großen Versprechungen sind Sie die Novelle des Filmförderungsgesetzes angegangen. Sie sprachen von „Mut zum Experiment“ und davon, „mehr neue, gute Ideen zu fördern“. Das, was heute verabschiedet werden soll, wäre als Drehbuch aber nur bedingt förderfähig. Es ist zu vorhersehbar und unoriginell. Ihr Entwurf ist ungefähr so visionär wie eine Til-Schweiger-RomCom und so mutig wie Katzenvideos auf YouTube.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben die Auseinandersetzung mit den Verwertern gescheut, Sie lassen die Kreativen weiter im Stich, und Sie haben es versäumt, was mich bei Ihnen wirklich persönlich enttäuscht, tatsächlich für mehr Geschlechtergerechtigkeit beim Film zu sorgen. Wir brauchen aber mehr Vielfalt, damit das deutsche Kino auch international wieder mehr Beachtung erfährt. Doch das wird durch das FFG eher verhindert.

Schauen wir uns einmal die Lage des deutschen Films an. Eine Regisseurin wie Maren Ade wird zu Recht – Herr Blienert hat sie auch erwähnt – hoch gelobt und als Beweis dafür herumgereicht, dass das deutsche Kino innovativ ist. Aber viele bedeutende Filmschaffende sind nicht dank, sondern trotz der Filmförderung erfolgreich. Es gibt unzählige Hürden, und viele herausragende Filme sind einfach hoffnungslos unterfinanziert. Ein paar Beispiele: Der Film Der Nachtmahr von 2015 hatte keine Förderung und nur ein ganz kleines Budget. Aber weil dieser Film das sinnliche Kino praktisch neu erfunden hat, war er auf zahlreichen internationalen Festivals erfolgreich.

Selbst renommierten Filmschaffenden fällt es oft extrem schwer, die Finanzierung neuer Projekte zu stemmen. Der Film Schlafkrankheit von Ulrich Köhler wurde 2011 auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Das Geld für sein neues Projekt hat er nur mit sehr vielen Mühen zusammengekratzt. Andere erfolgreiche Filme wie Im Schatten oder Vor der Morgenröte mussten mit einem winzig kleinen Budget umgesetzt werden, oft war es sogar noch kleiner als ursprünglich geplant.

Budgeteinschränkungen führen aber zu Kompromissen. Diese Filme, obwohl sie im Kino erfolgreich sind, können ihr künstlerisches und ihr wirtschaftliches Potenzial überhaupt nicht ausschöpfen. Damit Kreative herausragende Filme machen können, benötigen sie vor allem eines: Freiräume.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Stattdessen ersticken sie in Bürokratie. Zudem sind sie in den Fördergremien unterrepräsentiert. Die Verwerter haben hier nach wie vor die Übermacht. Sie entscheiden vor allem nach wirtschaftlichen Aspekten, welches Filmprojekt gefördert wird – logisch, denn schließlich wollen sie damit ja auch Gewinne machen. Wenn ein Haufen Menschen mit unterschiedlichen Interessen bei einem Filmprojekt mitredet, dann bleibt vom Neuen und Innovativen nicht mehr viel übrig.

(Johannes Selle (CDU/CSU): Das ist nicht logisch!)

Nichts gegen gut gemachte Blockbuster, aber mutige Filmprojekte bleiben in diesem System zu oft auf der Strecke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das führt zu Monokultur statt zu Vielfalt, und wir bekommen nur selten Filme wie Victoria von Sebastian Schipper zu sehen, der eine Geschichte in einer einzigen Filmeinstellung erzählt. Dabei sollte doch gerade Mut prämiert und Unbequemes gefördert werden.

Schauen Sie sich doch einmal die Welt an. Nach dem gestrigen Tag habe ich den Eindruck, dass wir unbequeme Kreative mehr denn je brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Regisseurinnen und Drehbuchautoren können oft besser entscheiden, ob ein Film künstlerisch wertvoll ist, und darum muss die Anzahl von Kreativen in den Förderkommissionen unbedingt erhöht werden. Die Koalition hat aber die Verwerter bei ihrer Besitzstandswahrung unterstützt, und das ist für die Kreativen, so glaube ich, eine ziemlich klare Botschaft: Von Union und SPD haben sie leider nicht viel zu erwarten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist völliger Blödsinn!)

Es gibt noch eine weitere vernachlässigte Interessengruppe: die Produzentinnen und Produzenten. Wer einen Film produzieren will, muss erhebliche finanzielle Mittel als Eigenmittel einbringen. Aber selbst wenn ein Film wie Toni Erdmann dann an der Kinokasse erfolgreich ist, bekommen die Gewinne vor allem die Verwerter, sodass am Ende den Produzenten kaum etwas übrig bleibt.

Dieses Problem hätte man mit einem Erlöskorridor lösen können. Produzenten würden dann einen festgelegten Anteil von den Nettoverleiherlösen erhalten. Gleichzeitig würde die Chance auf Rückzahlung der geförderten Mittel an die FFA steigen. Wieso Sie das nicht ins Gesetz aufgenommen haben, verstehe ich nicht. Da hat Ihnen wohl wieder der Mut gefehlt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn wir mehr gute Filme von Frauen sehen wollen, Filme wie Toni Erdmann, wie Wild von Nicolette Krebitz, müssen wir diese auch gezielt fördern. Meine Anfragen bei der Bundesregierung haben ergeben, dass die Frauenbeteiligung bei geförderten Projekten erschreckend gering ist. Gerade einmal 18 Prozent der in den Jahren 2004 bis 2013 – immerhin über zehn Jahre – von der FFA geförderten Filme stammen von Regisseurinnen. Noch schlimmer ist es bei der Produktion. Im vergangenen Jahr sind nur 16 Prozent der Filme unter Beteiligung von Frauen entstanden. Dabei machen fast genauso viele Frauen wie Männer ihren Abschluss an den Filmhochschulen. Es reicht eben nicht aus, lieber Kollege Wanderwitz und lieber Kollege Blienert, nur die Fördergremien paritätisch zu besetzen. Das kennen wir auch aus anderen Bereichen. Deshalb fordern wir klare Zielvorgaben zur Förderung von filmschaffenden Frauen. Aber das war mit Ihnen leider nicht zu machen. Wirklich schade!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es gibt noch sehr viel mehr, was in der Referenzförderung schiefläuft. Getreu dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“ kommen eher die teuren und großen Produktionen in den Genuss automatisierter Filmförderung. Wir machen daher in unserem Entschließungsantrag eine Reihe von Vorschlägen, wie eben auch kleinere Produktionen besser gefördert werden können, was dann wieder für mehr Vielfalt sorgen wird.

Auch in weiteren Punkten haben Sie mit Ihrem Gesetzentwurf statt vielversprechendem Heldenepos eher einen Kassenflop produziert, zum Beispiel bei der ökologischen Filmproduktion. Zwar ist es in Zukunft auch Aufgabe der FFA, die deutsche Filmwirtschaft in „ökologischen Belangen zu unterstützen“. Aber was heißt denn das genau? So ein kleiner Nebensatz ohne konkreten Handlungsplan wird nicht ausreichen. Warum wird die Expertise zum Thema „grünes Kino“, die es in Deutschland inzwischen gibt, nicht genutzt? So ein Halbsatz ist enttäuschend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Auch die Vorgaben für die Barrierefreiheit sind nicht der große Wurf, eher ein Würfchen. Es genügt nicht, nur die Herstellung von barrierefreien Filmfassungen zu fördern. Sie müssen in den Kinos eben auch gezeigt werden. Wir brauchen Qualitätsstandards und deren Durchsetzung. Solange dies nicht geschieht, ist Barrierefreiheit nur ein Feigenblatt.

Noch ein Gedanke zu meinem Lieblingsthema, dem Filmerbe. Die Italiener haben vergangene Woche ein neues Gesetz zur Filmförderung verabschiedet. Zukünftig soll ein größerer Teil ihrer Filmabgabe für die Digitalisierung alter Filme verwendet werden. Während in Rom gehandelt wird, warten wir hier in Berlin auf eine Digitalisierungsstrategie, die uns schon seit Ewigkeiten versprochen wurde. Dass die Rettung des Filmerbes deutlich mehr Geld braucht, ist allen bekannt. Aber Wissen ist nicht Handeln, und am Handeln fehlt es.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein Satz noch zur Transparenz. Wir brauchen dringend ein umfangreiches, öffentlich einsehbares Filmregister. Wer die Antworten auf meine Anfragen zum Film kennt, der weiß, wovon ich spreche. Nur mit einem Filmregister kann die Förderung richtig evaluiert werden, zum Beispiel zur Beteiligung von Frauen oder auch zu sozialen Standards.

Der berühmte Filmkritiker Gene Siskel sagte einmal: A film that aims low should not be praised for hitting that target.

Das Gleiche gilt für diesen Gesetzentwurf. Wer keine hohen Ziele verfolgt, der bekommt auch kein Lob und leider auch nicht unsere Zustimmung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE))

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