Zur Informationspolitik der KMW – Rede im Stadtrat 21. März 2007

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und Bürger,

heute reden wir nicht über Klimaschutz und auch nicht über die unserer Meinung nach zweifelhafte Sinnhaftigkeit des geplanten Kohlekraftwerks auf der Ingelheimer Aue; heute reden wir über einen unerhörten Vorgang, der die Glaubwürdigkeit des Stadtrates als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger infrage stellt.

Wir alle erinnern uns gut an die letzte Stadtratssitzung. Dort haben wir debattiert, gestritten und dann – mit vielen Gegenstimmen – einen Antrag beschlossen, der den Bau eines Kohlekraftwerks befürwortet. Doch vor der Abstimmung gab es eine Meldung aus Wiesbaden, dass das Kraftwerk größer und teurer werde. Auf unsere Frage, auf welcher Grundlage wir im Stadtrat nun abstimmen würden, antworteten Sie, Herr Oberbürgermeister: auf Grundlage der uns zur Verfügung stehenden Zahlen aus dem Informationsmemorandum. Auch Stadtwerke-Vorstand Detlef Höhne, der bei der Sitzung anwesend war, gab dem Stadtrat keine neuen Informationen preis.

Wenige Tage später wurde öffentlich, dass in einer Beschlussvorlage für den Aufsichtsrat der KMW der Bau eines 823 MW großen, 1,2 Milliarden Euro teuren Kohlekraftwerks befürwortet würde.

Herr Oberbürgermeister, ich habe eines vermisst: ich habe Ihre Empörung vermisst. Als Vorsitzender des Stadtrats, immerhin des höchsten gewählten Gremiums der Stadt, und als Oberbürgermeister und damit höchster Vertreter der Bürgerinnen und Bürger, und vor allem als Mitglied des Aufsichtsrats der KMW haben Sie nicht laut das Gebahren der KMW kritisiert, deren Informationspolitik verurteilt. Da frage ich Sie: warum nicht? Haben Sie es wirklich nicht gewusst und erst am Abend nach der Stadtratssitzung erfahren, wie Sie es der Presse gegenüber geäußert haben. Dann hätte ich aber als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger von Ihnen eine klare Stellungnahme gewünscht. Doch das ist leider nicht passiert.

Und das ist auch nicht passiert, nachdem in der Frankfurter Rundschau vom 10. Februar 2007 stand: „Die neuen Zahlen lagen nach Sticksels Darstellung sechs Tage vor der Abstimmung im Mainzer Stadtrat vor.“ (FR vom 10. Februar 2007)

Wurde hier der Stadtrat gezielt belogen? Dr. Sticksel sagte gegenüber der Presse auch: „Es sei nicht Aufgabe des Unternehmens, diesen darüber zu informieren.“ Und Herr Höhne setzte sogar noch eins drauf: „Der Stadtrat sei nicht in der Lage, solch komplexe Entscheidungen zu diskutieren.“ Da möchte ich Herrn Höhne, der deshalb zurecht den Titel „Desinformatiker“ von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bekam, auffordern, sich bitte daran zu erinnern, woher er eigentlich kommt und wer hier Anteilseigner des Unternehmens ist, für das er arbeitet!

Ich frage Sie alle hier im Stadtrat: haben Sie inzwischen aktuelle Informationen von der KMW über das Kraftwerk erhalten? Ich nicht. Und daher verstehe ich auch nicht Ihre Logik, Frau Dr. Litzenburger, dass die Unsicherheit in Fragen der Wirtschaftlichkeit mit der Vereinbarung mit Siemens (ausgerechnet Siemens…) nun aus dem Weg geräumt sei. Ich habe immer noch kein Gutachten gesehen, dass solide die Wirtschaftlichkeit des Kraftwerks berechnet, und schon gar nicht ein Gutachten, das sich auf aktuelle Zahlen bezieht.

Im Gegenteil: nach der letzten Stadtratssitzung gab es noch mehr Verwirrung über Angaben zu den Betriebsstunden im Jahr, die für die Wirtschaftlichkeit des Kraftwerks notwendig seien. Haben Sie sich mal damit auseinander gesetzt – was das nämlich heißt, 7500 Stunden pro Jahr? Das bedeutet noch mehr CO2-Ausstoß – und auch darüber haben wir keine aktuellen Angaben.

Die Informationspolitik der KMW kann ich mit einem englischen Sprichwort beschreiben: If you can’t convince, confuse. Zu deutsch: wenn dir Argumente fehlen, dann verwirre.

Die Äußerungen der Herren Höhne und Sticksel zeigen aber auch sehr deutlich, dass sie vergessen haben, wem das Unternehmen letztlich gehört, für das sie arbeiten und welchen Respekt sie dem Anteilseigner entegenbringen – nämlich keinen.

Wir als Mitglieder des Stadtrats vertreten hier die Bürgerinnen und Bürger von Mainz. Wir können eine solche Haltung und eine solche Vorgehensweise eines stadtnahen Unternehmens gegenüber dem höchsten gewählten Gremium der Stadt nicht tolerieren! Wenn der Stadtrat duldet, von einem stadtnahen Unternehmen nicht nur ungenügend informiert, sondern auch noch gezielt belogen zu werden, dann gibt er sich der Lächerlichkeit preis. Wie der Stadtrat auf ein solches Vorgehen zu reagieren hat, wird in den Punkten 1 bis 4 unseres Antragstextes dargelegt.

Aufgrund der von der KMW vorgelegten falschen Zahlen kann der Beschluss vom 30.01. keinen Bestand haben. Oder will im Stadtrat jemand ernsthaft behaupten, dass die (bisher veröffentlichten) rund 80 Millionen Mehrkosten niemanden interessieren? Folgerichtig fordern wir unter Punkt 5 unseres Antrags eine Überprüfung der Entscheidung – wie übrigens auch die evangelische Dekanatssynode fordert – also eine erneute Abstimmung über das Kohlekraftwerk.

Ich bitte Sie um Unterstützung unseres Antrags und biete eine Einzelabstimmung über die Punkte unseres Antrages an. Die vorliegenden Änderungsanträge von CDU und SPD sind – das muss ich leider so sagen – absolute „Weichspüleranträge“, die lediglich verhindern sollen, dass der Stadtrat sich klar und deutlich gegen die Desinformationskampagne der KMW und seines Vorstandes wehrt und positioniert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen Sie sich auch in Zukunft mit falschen Zahlen stadtnaher oder – eigener Unternehmen verschaukeln lassen? Das kann nicht Ihr Ernst sein!
Wenn wir hier und heute nicht unsere Stimme erheben, geben wir die politische Steuerung aus der Hand–, und dann haben wir unsere Berechtigung als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger verloren – und dann sollten wir unsere Taschen packen und gehen!

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