“Dieser Feierabend ist auf Ihrer Arbeitsstelle nicht verfügbar”

Bericht vom Workshop auf dem nk12

Die Grenzen zwischen Job und Privatleben verschwimmen. Immer mehr ArbeitnehmerInnen sind auch nach Feierabend durch Smartphones und Tablets erreichbar bzw. checken selbst noch mal eben schnell Mails. Für FreiberuflerInnen existiert diese Grenze oft gar nicht, denn zu schnell könnte man einen Auftrag verlieren.

Dass auch vielen Besucherinnen und Besuchern das Thema auf den Nägeln brennt, konnte man am Workshop sehen. Über 40 Leute kamen, um mit uns über die Folgen der ständigen Erreichbarkeit zu diskutieren. Besonders hat mich gefreut, dass sich fast jeder im Raum mal zu Wort gemeldet hat, das fand ich außergewöhnlich.

Viele Menschen sind mittlerweile daueronline: Als wir unsere erste Referentin, Anne Wizorek (vielen auch bekannt als @marthadear) kontaktierten, antwortete sie innerhalb von 20 Minuten. Wie sich bei ihrem Input herausstellte, war das eher langsam, da sie vorher noch schnell Fakten zum netzpolitischen Kongress recherchiert hatte. Als freiberufliche Online-Beraterin kennt sie Probleme und Vorteile der ständigen Erreichbarkeit aus eigener Erfahrung. Zwar könne man sich die Arbeitszeiten selbst einteilen, aber das hieße noch lange nicht, dass die Außenwelt diese Zeiten so respektiere. Man müsse lernen, zu priorisieren. Die „Inbox Zero“ bleibe eine Mission, oft so unerreichbar wie der heilige Gral. Sie selbst nutze mittlerweile „Life Hacking Tools“, um sich selbst zu disziplinieren, aber auch an die Kunden ein Signal zu senden: Ich bin nicht 24 Stunden am Tag verfügbar.

Damit die Tarifangestellten der Volkswagen AG nicht abends erst in die Versuchung geraten, Ihre E-Mails auf den konzerneigenen Smartphones zu checken, hat der Betriebsrat von VW eine Betriebsvereinbarung durchgesetzt, die für viel Aufsehen gesorgt hat. Heinz-Joachim Thust, der diese Betriebsvereinbarung maßgeblich mit verhandelt hatte, berichtete von der Idee und der Ausführung: Die Betriebsvereinbarung gelte für die Tarifangestellten, die vom Konzern ein Smartphone zur Verfügung gestellt bekämen. Für diese wurde ein extra Mailserver eingerichtet, der sich eine halbe Stunde nach Ende der Arbeitszeit abschalte. Eine halbe Stunde vor Beginn des nächsten Arbeitstages beginnt der Server wieder, die Post abzuholen. Bei den außertariflich Angestellten, wie beispielsweise die Führungsebene, würde nichts abgeschaltet. Für die Mitarbeiter, die beispielsweise wegen einer Auslandsreise mit Zeitverschiebung andere Zeiten bräuchten, gäbe es eine Ausnahmegenehmigung. Für den entsprechenden Zeitraum müsse beim Betriebsrat ein Antrag gestellt werden, dass man auf den außertariflichen Server kommt. Aber es hätte auch schon Mitglieder vor allem aus dem mittleren Management gegeben, die das auch gewollt hätten. Manchmal, so Thust, müsse man die Menschen vor sich selbst schützen.

Eine kleine Abfrage bei allen WorkshopteilnehmerInnen zeigte: Das Problem ist weit bekannt. Auf die Frage „Wer ist immer erreichbar?“ meldeten sich bis auf drei TeilnehmerInnen alle. Kaum weniger Hände gab es auf die Frage, wer seine Mails auch nach Feierabend läse. Und die dritte Abfrage ergab, dass sich auch viele darüber ärgern, wenn sie nach Feierabend Mails bekommen, bzw. sich über sich selbst ärgern, wenn sie die Mails lesen. Zwei Drittel der TeilnehmerInnen empfanden die ständige Erreichbarkeit als Belastung.

Offenkundig war: Die Arbeitswelt ändert sich, es gibt ein neues Verständnis von Arbeit. Immer mehr Menschen arbeiten freiberuflich. Die ArbeitnehmerInnen mit Vertrag können nicht von gesicherten Arbeitsverhältnissen ausgehen, das baut neuen Druck auf. Aber auch die Art der Zusammenarbeit wandle sich. Ein Teilnehmer berichtete, dass sein Arbeitgeber und seine Kollegen in den USA säßen. International arbeitende Menschen müssten beispielsweise auf Faktoren wie Zeitverschiebung reagieren.

Eine Teilnehmerin stand der ständigen Erreichbarkeit ambivalent gegenüber: Gerade für Eltern sei es von Vorteil, wenn man durch Home Office seine Zeit freier einteilen könne. Aber es sei auch ein Nachteil, wenn alle Freunde und Bekannten ständig nur aufs Smartphone schauten. Schließlich ging es bei der Erreichbarkeit nicht nur um E-Mails. In sozialen Medien wie Twitter sei nie Feierabend, dort würden auch noch am Wochenende mitunter noch relevante Debatten geführt. Anne Wizorek bekräftigte dies und stellte auch klar, dass sie nicht nur via E-Mail erreichbar sei, oft ginge die Kontaktaufnahme auch über Twitter oder Facebook.

Auf meine Frage, ob die Initiative vom Chef kommen müsse, antworteten viele TeilnehmerInnen, dass dies sicherlich hilfreich sei. Aber nicht jede/r könne auf eine Betriebsvereinbarung wie bei VW hoffen. Heinz-Joachim Thust bekräftigte noch mal, dass sie bei VW den Vorteil hatten, mit einem starken Betriebsrat im Rücken agieren zu können. Es gäbe aber viele Organisationseinheiten, wo sie nicht agieren könnten. Auch seien oft die Betriebsgrößen zu klein für einen Betriebsrat.
Viele TeilnehmerInnen betonten, dass es zwischen Angestellten und Chefs an klaren Übereinkünften fehle, wann man erreichbar sei und wann nicht. Die Festlegung von Regeln könne hier ein erster Schritt sein.
Wie aber ein Teilnehmer zu recht darstellte, braucht es dafür auch von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Selbstbewusstsein für den Wert der eigenen Arbeit. Dies, so die These, sei vielen abhanden gekommen. Wenn man selbst die eigene Arbeit wertschätze, falle es leichter, die Arbeitszeiten vor anderen zu verteidigen.

Oft, und dies betonten mehrere selbstkritisch, fehle es individuell an Selbstdisziplin. Gerade für Freiberufler könne dies zum Problem werden. Eine Freiberuflerin sagte, man müsse als Freelancer auch lernen, nein zu sage und sich selbst Grenzen zu setzen, auch in zeitlicher Hinsicht. Das führte zu den Fragen, wer den Menschen das Zeitmanagement beibringen soll? Soll dies erst im Erwachsenenalter geschehen, oder könne man hier schon bei Kindern in der Schule ansetzen? Dies, so der Workshop, könne eine Aufgabe der Politik sein.

Auch das Thema Vereinbarkeit wurde debattiert, es wurde schon angemerkt, dass durch die digitale Erreichbarkeit Tools wie Home Office erleichtert würde. So könne man sich auch mal kurzfristig um die Kinder kümmern. Aber es sei auch ein Nachteil, wenn man mit einer Hand das Kind füttert und mit der anderen mit dem Chef telefoniere.

Fazit des Workshops: Die digitale Erreichbarkeit empfinden viele als Belastung. Die Politik alleine kann sicherlich nicht die Probleme lösen. Aber sie kann unterstützen, beispielsweise mit Maßnahmen zur Stärkung der Medienkompetenz. Ein Vorschlag sah vor, die Unternehmen dazu zu verpflichten, sich stärker an den Krankheitskosten der Angestellten zu beteiligen.
Aber es sei auch die Aufgabe jedes und jeder Einzelnen, für die eigenen Belange einzutreten und sie konsequent zu verfolgen. Selbstdisziplin kann man nicht vorschreiben, jede/r muss für sich die perfekte Arbeitsweise finden. Aber die Intensität und die Qualität der Diskussion zeigte, dass die Konsequenzen der digitalen Erreichbarkeit ein Themenfeld sind, das weiter bearbeitet werden muss.

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