Öffentlich-Rechtliche im Netz: Tagtraum und Realität

Für ein breites Angebot und digitale Archive der Öffentlich-Rechtlichen auch im Netz sprechen viele Argumente. In der Praxis scheinen die politischen und rechtlichen Hürden kaum überwindbar.
Träumen soll man nachts, heißt es. Wenn ich mir aber ein bisschen Tagträumen in Bezug auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erlauben dürfte, dann wäre ein digitales Schlaraffenland das Resultat: Alle ausgestrahlten Sendungen stünden als Online-Archiv bereit. Auch ältere Sendungen wären digitalisiert und würden in einem solchen Archiv bereitgestellt. Und darüber hinaus könnten sich zum Beispiel Schülerinnen und Schüler in diesem Archiv mit Bildmaterial bedienen, für ihr Referat nutzen und das Handout ins Schulintranet oder auf Lernplattformen stellen.

Der Traum: eine vollständige digitale Mediathek

Information ist Allgemeingut. Warum sollte es als Ressource nicht bereitgestellt werden? Mit einer vollständigen Mediathek und einem digitalen Archiv würden ARD und ZDF den Zuschauerinnen und Zuschauern, Hörerinnen und Hörern, Nutzerinnen und Nutzern ungehindert Zugang zu Informationen, Kultur, Unterhaltung und Sport verschaffen. Der wertvolle Schatz an Informationen, der in den Archiven der öffentlich-rechtlichen Anstalten schlummert, könnte gehoben werden. Gerne würde ich das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als einen zentralen Bestandteil eines umfassenden, frei zugänglichen Kommunikationsraumes – einer „digitalen Almende“ – sehen, der sowohl die traditionellen Medien als auch die neuen Plattformen umfasst. Für den einzelnen Nutzer oder die einzelne Nutzerin ist es meines Erachtens irrelevant, ob der Inhalt über traditionelle Rundfunksignale oder das Internet verbreitet wird. Wichtig ist, dass es bei den Menschen ankommt. Gerade jüngere Menschen nutzen zunehmend das Netz, um sich zu informieren. Ich halte es für fatal, dass sie bei den öffentlich-rechtlichen Online-Angeboten zum Beispiel nicht mehr alle Sendungen und Filme einer Themenwoche finden können. Ich plädiere nicht dafür, dass ARD und ZDF im Internet „alles“ dürfen. Gewinnspiele oder Memoryspiele auf Seiten von Daily Soaps wie „Rote Rosen“ zum Beispiel gehören nicht zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, waren im Gesamtangebot aber schon immer marginal. Ich bedaure es aber, dass Filme wie zum Beispiel der Tatort nach einer Woche wieder aus der Mediathek verschwinden müssen. Auch Unterhaltungssendungen sind ein kulturelles Gut. Es gibt viele anspruchsvolle Filme oder Sendungen, die bei ARD und ZDF leider bisweilen mitten in der Nacht gezeigt werden. Es ist ein Jammer, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer dann nur sieben Tage lang die Chance haben, das nachzuholen.

Warum die Öffentlich-Rechtlichen im Internet präsent sein dürfen

Für eine weitreichendes Online-Angebot und ein digitales Archiv sehe ich drei Argumente: Zum Ersten die neue Rolle und die gesellschaftliche Bedeutung der Medien und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und zum Zweiten die bereits geleistete Bezahlung der Inhalte durch die Rundfunkgebühren der Zuschauer und Zuschauerinnen, zum Dritten die Entwicklung des Mediums Internet. Die Bedeutung der Öffentlich-Rechtlichen für die Gesellschaft hat sich meines Erachtens gewandelt. Als Mitte des vergangenen Jahrhunderts ARD und danach das ZDF gegründet wurden, gab es noch keinen kommerziellen Rundfunk. Damals beruhte die Legitimation von ARD und ZDF auf ihrer Grundversorgungspflicht.
Seit Mitte der 80er Jahre gibt es den privaten Rundfunk. Dieser muss sich selbst finanzieren, die Inhalte werden also weitgehend nach marktwirtschaftlichen Kriterien bereitgestellt. Die Quote bestimmt das Programm. Das Bundesverfassungsgericht hat im Gebührenurteil vom September 2007 festgestellt, dass „bei einer Steuerung des Verhaltens der Rundfunkveranstalter allein über den Markt das (…) für die Demokratie besonders wichtige Ziel der inhaltlichen Vielfalt gefährdet ist. Insbesondere die Werbefinanzierung stärkt den Trend zur Massenattraktivität und zur Standardisierung des Angebotes.“ (1 BvR 2270/05 ). In der Folge entstehen laut Bundesverfassungsgericht: Sensationsjournalismus, Wirklichkeitsverzerrung, Skandalisierung. Dieses Defizit, das der marktwirtschaftlichen Finanzierung geschuldet ist, soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk wieder ausgleichen. Das ist meiner Meinung nach ein wichtiger Aspekt für die gesellschaftliche Bedeutung von ARD und ZDF heute. Auch wenn das Angebot im Internet anders ist als im klassischen Rundfunk, so schätze ich auch dort die Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ein Dossier über die Themenwochen, wie zum Beispiel zu Demografie, ist eine außerordentliche Sammlung von hochwertigen Hintergrundbeiträgen, die zur Informations- und Meinungsbildung beitragen. Deshalb sollte ein qualitativ so hochwertiges Produkt auch dauerhaft bereit stehen. Für ein zeitgemäßes Gebührensystem
Das Argument, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer für die Inhalte bereits gezahlt haben spricht bereits für ein digitales Archiv: Jeden Monat entrichten sie eine pauschale Gebühr von 17, 98 Euro für das Angebot der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Zu Beginn des kommenden Jahres wird die Gebühr durch einen Beitrag pro Haushalt ersetzt. Ich halte das für eine überfällige Reform. Denn durch die immer weitere Verbreitung von Computern mit Breitbandzugang und Smartphones, die auf das Online-Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender zugreifen, wurde es immer absurder, eine Gebühr an den Empfang eines Fernsehgeräts zu knüpfen. Mit jedem neuen Gerät, das auch Rundfunk empfangen kann, aber oft primär eine andere Funktion hat, kam die Diskussion auf, ob und in welcher Höhe dafür Gebühren erhoben werden sollten. Damit ist nun Schluss.

Aber wenn zukünftig das Angebot an sich durch den Beitrag finanziert wird und damit explizit das Online-Angebot umfasst, dann ist es schon schwierig zu erklären, warum einige dieser Angebote nach sieben Tagen wieder depubliziert werden müssen. Natürlich weiß ich, dass die Gründe dafür nicht bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten liegen, sondern durch die Entscheidung der EU-Kommission und den Drei-Stufen-Test vorgegeben sind. Für die Zuschauerinnen und Zuschauer aber ist das schwer nachvollziehbar. Hinzu kommt ein Paradigmenwechsel bei der Rundfunkgebühr: Die Argumentation für den Wechsel von der Gebühr zum Beitrag in einem Gutachten von Verfassungsrechtler Paul Kirchhof lautet: „Der normative Ausgangsbefund, das Rundfunkangebot wende sich an den Menschen, müsse grundsätzlich auch im Menschen tatbestandlich erfasst werden.“ Also wird die Gebühr nicht mehr aufgrund eines Gerätes erhoben, sondern weil das Angebot als öffentliches Gut verstanden wird, von dem alle Zuschauerinnen und Zuschauer profitieren. Ich unterstütze diese Argumentation, weil ich es für rückwärtsgewandt halte, an Geräten festzuhalten. In dessen Folge ist aber noch weniger verständlich, warum Inhalte, die durch den Beitrag der Zuschauerinnen und Zuschauer schon finanziert sind, von diesen nur begrenzt lange angesehen werden können. Dies verstehen auch viele Bürgerinnen und Bürger nicht. Zu diesem Aspekt bekomme ich viele Zuschriften.

Die Wirklichkeit: Was ARD und ZDF im Netz einschränkt

Die Diskussionen in den vergangenen Jahren um das Online-Angebot an sich und beispielsweise über die Tagesschau-App machen die absurde Auffassung der Verleger und des privaten Rundfunks deutlich, dass ARD und ZDF nur Rundfunk im klassischen Sinne machen sollen. Es ergibt aber keinen Sinn, wenn sie nur Fernsehen im Netz machen dürfen. Das Internet ist ein neues Medium. Die alten Medien „Presse und Rundfunk“ einfach nur dorthin übertragen zu wollen, wird dem Internet nicht gerecht und würde die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Programms gefährden.
Diese neue Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks macht meines Erachtens deutlich, warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet sehr stark vertreten sein sollte. Aber leider ist mir bewusst, dass dieser Wunsch ein Traum bleiben wird: Die Entscheidungen auf europäischer Ebene, die rechtlichen Einschränkungen in Deutschland, die ökonomischen Bedenken der Privatsender und Verleger und das Urheberecht setzen Grenzen.
Das ist bedauerlich. In anderen europäischen Staaten gibt es eine ganz andere Vorstellung von der Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Anstalten: In Großbritannien zum Beispiel wurde das Online-Angebot von Beginn an viel weiter gefasst und als „öffentlich-rechtliches Online-Angebot“ konzipiert. Dort spricht man auch von einem „dritten Arm” des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Die EU-Klage und der Drei-Stufen-Test

Die Entwicklung in Deutschland verlief deutlich anders: Hierzulande wurden die vermehrten Online-Tätigkeiten in den bestehenden Rechtsrahmen eingefügt. Dieser stammt aus vordigitaler Zeit. Das Angebot sollte „programmbegleitend“ sein, das heißt, auf eine Ergänzung der bestehenden Angebote in Hörfunk und Fernsehen begrenzt bleiben. Wir Grüne haben uns dagegen schon lange für eine „Dritte Säule des öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ im Internet ausgesprochen. 2003 reichte der Lobbyverband der privaten elektronischen Medien in Deutschland (VPRT), eine Beschwerde gegen das Online-Angebot von ARD und ZDF bei der Europäischen Kommission in Brüssel ein. Die Verhandlungen Deutschlands mit der EU mündeten im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag: Der Drei-Stufen-Test wurde eingeführt. Dabei müssen die Rundfunkgremien vor allem die möglichen Auswirkungen des geplanten Online-Angebotes von ARD und ZDF auf den Wettbewerb in Betracht ziehen.
Der deutsche Gesetzgeber hat dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Internet durch den Drei-Stufen Test aber schon vorab massive Grenzen gesetzt. Es gibt eine Verbotsliste der Inhalte, die ARD und ZDF nicht mehr oder zeitlich nur sehr eng begrenzt ins Internet stellendürfen. Hunderttausende Seiten wurden von ARD und ZDF depubliziert. Stefan Niggemeier hat dazu schon vor Jahren ironisch und sehr treffend geschrieben: „Pfui! Ein reichhaltiges Angebot zuverlässiger Informationen im Internet für jeden? Nicht nur für die Reichen, die dafür zahlen können? Was für ein Skandal! Wie kann es die ARD wagen, unsere Rundfunkgebühren einfach für etwas zu nutzen, dass für uns alle so nützlich ist?“ (FAS vom 11.5.2003).

Grenzen durch eingeschränkte Verbreitungsrechte

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hält in den Archiven eine Vielfalt an Werken, die durch die Gemeinschaft finanziert werden. Doch auch hier besteht eine Beschränkung meines Traums: Denn ARD und ZDF besitzen meist nicht die nötigen Rechte, alle Inhalte einfach online zu stellen und müssten diese individuell nachverhandeln und klären. Das sind Millionen von Rechteinhabern, die ermittelt, kontaktiert, und mit denen schließlich verhandelt werden muss. Das wäre ein sehr kostenintensiver und administrativ wohl kaum zu bewältigender Aufwand. Für die in der Zukunft zu erstellenden Beiträge würde es bedeuten, dass zumindest die Urheber von Auftragsproduktionen in ein komplettes Buy-out einwilligen würden. Auch das produziert höhere Kosten. Im Ergebnis kann es dazu führen dass eher weniger als mehr online gestellt werden wird. Denn das Budget soll ja gleich bleiben. Anders sieht es allerdings bei Eigenproduktionen aus. Hier würde ich mir wünschen, dass vermehrt Creative-Commons-Lizenzen genutzt würden. Beispiele wie Zapp, Extra 3 oder den Elektrischen Reporter gibt es bereits jetzt, wenn auch wenige.

Was bleibt?

In die Zukunft gedacht halte ich es für diskussionswürdig, einen Teil der Rundfunkgebühren in einer Art „Budget“ bereitzustellen, auf den sich auch andere Publizierende, zum Beispiel Blogs oder Filmproduzenten, bewerben können. Einen ähnlichen Vorschlag hat die AG DOK in Umlauf gebracht. Die Idee ist, öffentlich finanzierte und dadurch frei zugängliche Informationsquellen ins Internetzeitalter weiter zu entwickeln. Ich erwarte mir davon einen massiven Kreativitätsschub für das Online-Angebot der Öffentlich-Rechtlichen. Wie so etwas aber neutral, unbürokratisch und juristisch sauber umgesetzt werden kann, dazu braucht es noch eine genauere Konzeption. Als Idee halte ich das aber für sehr interessant und bin offen für eine Diskussion.

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