Kein Neuanfang mit alten Zöpfen… Der demografische Wandel im Landkreis Kusel

„Kein Neuanfang mit alten Zöpfen“ – diese alte Weisheit zeigte sich auch bei der Gedankenwerkstatt: „Zukunft Dorf – Erneuerung im demografischen Wandel“, zu der die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner und die Kreistagsfraktion der GRÜNEN Kusel am 24.6.2010 in Konken eingeladen hatten.

Die Problemlage im Landkreis Kusel, der überdurchschnittlich stark von Alterung, Abwanderung und Schrumpfung betroffen ist, ist offensichtlich: Die sinkende Dichte verteuert die öffentliche Infrastruktur erheblich. Die junge Generation zieht weg, mit den damit einhergehenden Einkommensverlusten für die Gemeinden. Eine ausreichende Daseinsvorsorge wird immer schwieriger zu leisten. Wohnraumüberhänge führen zu Erosionen in der Dorfstruktur und des Ortsbildes. Die Folgen werden in den nächsten Jahren immer gravierender. In Breitenbach, einer Gemeinde mit 2.000 EinwohnerInnen, stehen heute 17 Häuser leer. Andreas Hartenfels, Planer und Kreistagsmitglied der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „In den nächsten zwei Jahrzehnten werden voraussichtlich 138 Gebäude ohne Aussicht auf Nachnutzer frei. Bei diesen Dimensionen greifen die alten Konzepte nicht mehr.“

Gelungene Beispiele der Dorferneuerung zeigte der Architekt Klaus Dockendorf Bürgermeistern und interessierten Bürgerinnen und Bürgern bei einer Besichtigungstour durch Dörfer des Landkreises beim ersten Teil der Gedankenwerkstatt. Erster Halt war in Glan-Münchweiler, wo sechs barrierefreie Wohnungen und ein Café im alten Gasthaus Hirsch Platz finden. Das Gebäude wurde zurückgebaut, damit es in seiner ursprünglichen Größe optimal zu nutzen ist und alle Wohnungen mit ausreichend Tageslicht durchflutet werden. Andere Stationen zeigten die breite Palette an Möglichkeiten für die Nachnutzungen von ehemaligen Wirtschaftsgebäuden: eine Puppenspielerwerkstatt und Gastronomie in Rehweiler, Ferienwohnungen und ein Büro in einer ehemaligen Mühle in Matzenbach, jeweils kombiniert mit modernem Wohnen. Dorferneuerung in diesem Sinne ist  für die ländliche Entwicklung dann besonders erfolgreich und nachhaltig, wenn Vernetzungen greifen: die touristische Infrastruktur, hier der Glan-Blies-Radweg, ein Gleisanschluss, die Barrierefreiheit, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Einbindung in soziale dörfliche Netzwerke und der Erhalt ortstypischer Bausubstanz benötigen und verstärken sich gegenseitig.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exkursion waren begeistert von der hohen architektonischen Qualität der Objekte. Der Kulturlandschaft geben die sanierten ortstypischen Gebäude einen unverwechselbaren Charme. Die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner: „Hier entstehen neue lebendige Kristallisationspunkte. Dorferneuerung als qualitatives Wachstum ist auch im demografischen Wandel möglich und vor allem unbedingt nötig.“

Nötig für eine moderne Nutzung der alten Gebäude ist oft ein Abriss, der nur in wenigen Gemeinden förderfähig ist. Auf eine Überarbeitung der Förderrichtlinien der Dorferneuerungsmittel des Landes Rheinland-Pfalz dringt der Architekt Dockendorf: „Die Förderhöhe stagniert trotz stark gestiegener Baukosten seit 25 Jahren. Zusätzlich behindern praxisferne Modalitäten die Unterstützung der Bauherren und die Anpassung an den demografischen Wandel.“ Ein restriktiver Denkmalschutz behindere zusätzlich. So könnten beispielsweise viele Dächer nicht mit Solaranlagen ausgestattet werden. Dem stimmten auch Teilnehmer der anschließenden Diskussionsrunde mit Landrat Winfried Hirschberger, Andreas Hartenfels und VertreterInnen der anderen Parteien im Haus Gerlach in Konken zu.

Wie von den GRÜNEN schon lange gefordert, setzt endlich ein Umdenken in der Ortsplanung ein. Abriss ist nicht mehr tabu, das Potential des Bestandes wird erkannt, Neubaugebiete finden nur noch vereinzelte Befürworter. Ehrenprofessor Karl Ziegler von der Uni Kaiserslautern, Fachgebiet Ländliche Ortsplanung, warnt die anwesenden Ortsbürgermeister: „Die Gemeinden bleiben auf ihren Schulden durch die Neubaugebiete sitzen. Die Erschließung von Neubaugebieten ist für die meisten kleinen Gemeinden in heutiger Zeit grob fahrlässig.“

Der demografische Wandel stellt die Strategien der Mehrheitsparteien in Frage, die jahrzehntelang die Entwicklung auf dem Lande bestimmten. Eine der wichtigsten Strategien, die Erweiterung der Siedlungs- und Verkehrsfläche, verursacht jetzt genau das Gegenteil:  langfristig nicht tragbare finanzielle Belastungen für die Kommunen und die Abwertung des privaten Grundbesitzeigentums durch Überhänge auf dem Immobilienmarkt.

Die Rahmenbedingungen müssen endlich angepasst werden. Ähnlich den unter rot-grün aufgelegten Programmen Stadtumbau West und Ost, die eine Stärkung der Innenstädte, die Reduzierung des Angebotsüberhanges an Wohnraum und die Aufwertung der vom Schrumpfungsprozess betroffenen Städte zum Ziel haben, fordern die GRÜNEN von Bund und Ländern Förderprogramme, die den ländlichen Regionen eine sozialverträgliche Anpassung der Besiedlungsstruktur an die gegebenen Verhältnisse ermöglicht. „Das kreative Engagement der Menschen vor Ort ist enorm wichtig. Die öffentliche Unterstützung macht es aber erst richtig möglich, diese Ideen auch in Taten umzusetzen“, unterstreicht Tabea Rößner.

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