„Verbrauchermacht in der digitalen Welt“

Angesichts der zunehmenden technischen Möglichkeiten ist eine politische und gesellschaftliche Debatte zu Verbraucherrechten in der digitalen Welt dringend geboten. Dies haben Nicole Maisch, Sprecherin für Verbraucherpolitik, und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz zu Beginn der Konferenz betont.

Konstantin von Notz sieht die technische Durchdringung unseres Alltags als Kehrseite zu den Annehmlichkeiten technischer Errungenschaften wie alltagserleichternde Apps oder neue Beteiligungsmöglichkeiten. So ermöglicht das permanente Erfassen, Verarbeiten und Nutzen unserer Daten, ein Spiegelbild unserer selbst zu produzieren. Auswirkungen hat dies beispielsweise für Angebote über Mobilfunkverträge oder bei der Vergabe von Krediten. Dies zeigt auch die Verbrauchertrackingstudie der grünen Bundestagsfraktion. Der gesetzgeberische Handlungsdruck wurde auch jüngst durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen Google deutlich. Da die Bundesregierung weiterhin, trotz des größten Abhör- und Ausspähskandals der Geschichte, weitestgehend untätig bleibt und sogar die dringend notwendige Reform der EU-Datenschutzgrundverordnung aktiv ausbremst, sind mehr und mehr die Gerichte gezwungen die Bürgerrechte in der digitalen Welt zu verteidigen.

Grundrechte auch und gerade in Europa verteidigen

Ähnlich äußerte sich Jan Philipp Albrecht, Mitglied des Europaparlaments und Berichterstatter für die EU-Datenschutzgrundverordnung, im Gespräch mit Nicole Maisch. Jan Philipp Albrecht betonte, dass nun die Bundesregierung am Zuge sei im Ministerrat einen starken Datenschutz für Europa durchzusetzen. Der angestrebte digitale Binnenmarkt muss seiner Ansicht nach mit starken Verbraucherrechten, beispielsweise hinsichtlich der Netzneutralität ausgestattet sein, auch vor dem Hintergrund der laufenden, nicht-öffentlichen Verhandlung zum Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU.Technischen Fortschritt mit Rechten in Einklang bringenProf. Dr. Sarah Spiekermann von der Wirtschaftsuniversität in Wien verdeutlichte in ihrer Keynote, dass die gigantischen zu erwartenden und noch nicht absehbaren Umbrüche in nahezu allen Gesellschaftsbereichen ein neues Verhältnis von Menschen und ihren Daten nötig macht, sei es die Automatisierung und Digitalisierung von Arbeit oder die datenintensive Vernetzung in Wissenschaft und Wirtschaft. Die Leiterin des Instituts für Wirtschaftsinformatik stellte klar, dass es für Innovationen in unterschiedlichen Branchen anonymisierte Daten ausreichen und keine Daten mit Personenbezug erforderlich sind. Im Verhältnis zwischen VerbraucherInnen und der digitalen Wirtschaft fordert sie eine „informierte Zustimmung“ zur Datennutzung sowie ein Recht auf „privacy-freundliche Dienste“.

Gesetzgeber hat massiven Nachholbedarf

In fünf Workshops wurden die Themen Verbraucherdatenschutz, mobile Endgeräte, Share-Economy, Urheberrecht und Medienregulierung vertieft. Den Workshop zum Verbraucherdatenschutz leitete Konstantin von Notz. Einigkeit bestand zwischen dem Fraktionsvize und den Referenten Jan Schallaböck (iRights.Law) und Dr. Jana Moser (Axel Springer AG) darin, dass es dringend einer Übertragung und Weiterentwicklung der einst mühsam in der analogen Welt erkämpften Verbraucherschutzstandards auch für das Digitale bedarf. Der Gesetzgeber darf sich angesichts eines massiven Nachholbedarfs hier nicht wegducken. Selbstverpflichtungen der Wirtschaft können hier als sinnvolle Ergänzung fungieren. Zudem brauchen wir eine Stärkung der Institutionen, die die Einhaltung dieser Standards und Rechte kontrollieren und diese durchsetzen. Es bedarf innovativer Datenschutzkonzepte und einer stärkeren politischen Unterstützung der Datenschutzreform auf EU-Ebene.

Urheberrecht war das Thema von Renate Künast, der Vorsitzenden des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz. In ihrem Workshop herrschte Übereinkunft darüber, dass das Urheberrecht einer zeitgemäßen Reform bedarf, um die analoge Rechtsgrundlage an die digitale Gegenwart anzupassen. Ebenfalls seien beim Verbraucherschutz Verbesserungen nötig, um die Position von VerbraucherInnen sowohl als passive KonsumentInnen als auch als aktive NutzerInnen zu berücksichtigen. Ob dies unmittelbar im Urheberrecht oder in anderen Rechtsbereichen zu regeln sei, blieb dabei offen. Notwendig ist in jedem Falle, die Komplexität der bisherigen Rechtslage für Verbraucher zu reduzieren und Regelungen für vertragsfreie Bereiche zu finden. Kontrovers wurde die Fragen diskutiert, inwieweit eine stärkere Fokussierung auf Eigentums- oder Lizenzmodelle wünschenswert und ob den Unternehmen das Risiko der urheberrechtlichen Regelung über das Verbrauchervertragsrecht zuzuweisen sei.

Im Workshop von Tabea Rößner, Sprecherin für Medien, wurde mit Sabine Frank (Google Deutschland) und Dr. Ina Pöttinger (Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur) diskutiert, wer oder was VerbraucherInnen im Netz am besten schützen kann: Die eigene Medienkompetenz oder staatliche Regulierung? Deutlich wurde dabei, dass gerade die staatliche Medienregulierung ein sehr sensibler Eingriff ist. Medienbildung muss generationen- und institutionenübergreifend konzipiert werden. Vor diesem Hintergrund fehlt es insbesondere an Angeboten für Erwachsene. Ob es tatsächlich genügend Möglichkeiten und Informationen zum Selbstschutz gibt oder die geringe Nutzung auf mangelnde Informationen zurückzuführen ist, diskutierten die Teilnehmer offen.

Neben zu weitgehenden Zustimmungserfordernissen und teuren In-App-Käufen schilderte Carola Elbrecht vom Bundesverband der Verbraucherzentralen im Workshop von Nicole Maisch das Problem seitenlanger und unverständlicher AGB. Dr. Nikolaus Lindner von BITKOM beschrieb die gegenwärtige Situation als „lose/lose-Situation“ für Anbieter und VerbraucherInnen. Die Gefahr, abgemahnt zu werden, führt dazu, dass Unternehmen ihre AGB sehr juristisch verfassten. Diskutiert wurden auch die Umsetzung des Widerrufsrechts für Apps ab Juni 2014 und der Ansatz, VerbraucherInnen durch die Entkopplung von Soft- und Hardware mehr Wahlmöglichkeiten zu geben, anstatt sie durch technische Voreinstellungen an bestimmte Programme und Apps zu binden.

Ein weiterer Workshop mit Dieter Janecek, wirtschaftspolitischem Sprecher, beleuchtete das Phänomen der Share-Economy im Netz. Prof. Dr. Harald Heinrichs von der Universität Lüneburg gab einen Überblick über verschiedene Arten von Sharing-Angeboten, die Herausforderungen und nötige politische Unterstützung, beispielsweise durch steuerrechtliche Regelungen. Auch Güne Seyfarth, die Gründerin von Mamikreisel.de, forderte von der Politik, den Betrieb privater Tauschbörsen nicht kompliziert zu machen. Als weiterer Praktiker beschrieb Andreas Leo von Car2go die Perspektive eines kommerziellen Betreibers eines Sharing-Dienstes.

„VerbraucherInnen in der digitalen Welt – Macht oder Ohnmacht?“

In der folgenden Podiumsdiskussion diskutierten Peter Schaar, ehemaliger Datenschutzbeauftragter der Bundesregierung, der Staatssekretär im Justiz- und Verbraucherschutzministerium Gerd Billen, Dr. Joachim Bühler von BITKOM, Cornelia Tausch von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg und Renate Künast konkrete Ansätze, wie VerbraucherInnen in der digitalen Welt gestärkt werden können. So ging es auch hier darum, wie AGB verständlicher formuliert werden können, indem beispielsweise wesentliche Regelungspunkte herausgegriffen und vereinfacht dargestellt werden. Cornelia Tausch forderte auch für Preisvergleichs- und Bewertungsplattformen Transparenz und Regeln, damit VerbraucherInnen erkennen könnten, wer sie betreibt und welche Daten ausgewertet werden. Renate Künast hob die Notwendigkeit einer systematischen Marktbeobachtung aus Verbrauchersicht hervor – dies sei im Koalitionsvertrag mit dem Marktwächter Digitale Welt zwar vorgesehen, jedoch im Haushalt nicht mit einer Finanzierung unterlegt worden. Staatssekretär Billen sagte entsprechende Mittel für 2015 zu und kündigte die baldige Veröffentlichung eines Gesetzentwurfes für ein verbessertes Verbandsklagerecht von Verbraucherorganisationen im Bereich des Datenschutzes an. Joachim Bühler warnte jedoch vor der Schaffung von Parallelstrukturen mit Datenschutzbehörden und Verbraucherorganisationen. Peter Schaar stellte die Frage, wie angesichts der Machtkonzentration im digitalen Markt die Kartellaufsicht verbessert werden könne oder ob sogar bestimmte Funktionen ein und desselben Anbieters sich gegenseitig ausschließen müssten, so dass beispielsweise der Betreiber einer Suchmaschine nicht gleichzeitig Betreiber eines sozialen Netzwerks sein dürfe. Einigkeit bestand bei allen PodiumsteilnehmerInnen darüber, dass die Umsetzung der Reform der europäischen Datenschutz-Grundverordnung dringend notwendig sei.

Verbraucherrechte in der digitalen Welt sind demokratische Freiheitsrechte

Die Debatten um einen starken Datenschutz, die Verteidigung von Rechten wie Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung verdeutlichen abschließend für Konstantin von Notz noch einmal, dass Verbraucherschutz in der digitalen Welt Grundrechtsschutz ist und in manchen Bereichen bereits ein Endspiel um den Rechtsstaat. Dementsprechend möchte die Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen das Thema weiterhin mit allen Interessierten diskutieren.

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