Persönliche Erklärung zur Abstimmung über den Antrag „Rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger Jungen“

Der Deutsche Bundestag soll sich heute ohne das übliche Beratungsverfahren und damit völlig überstürzt zum sensiblen Thema der religiös motivierten Beschneidung von Jungen verhalten. Diese Eile wird dem gewichtigen Thema nicht gerecht. Nicht nur, dass das Urteil des Landgerichts Köln, das ohne Frage zur Verunsicherung jüdischer und muslimischer Gläubiger und auch in der Ärzteschaft gesorgt hat, keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet und zudem bereits vom Mai 2012 stammt, sondern auch, weil der heutige Beschluss des Bundestags an der derzeitigen rechtlichen Situation nichts ändert. Die öffentliche Diskussion über das Urteil des Landgerichts Köln macht deutlich, dass es dem Deutschen Bundestags gut anstünde, eine breite Diskussion zum Thema Beschneidung von Jungen zu führen, inklusive der Anhörung von Sachverständigen und der Beratung in den Ausschüssen sowie der Kinderkommission des Deutschen Bundestags. So ist es üblich und bei sensiblen Themen ganz besonders notwendig. Selbstverständlich ist, dass jüdische und muslimische Traditionen und Riten zu achten sind und jüdisches und muslimisches religiöses Leben in Deutschland weiterhin möglich sein muss – dies sollte keiner Erwähnung bedürfen.

In der derzeitigen Diskussion und auch im Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, der SPD und der FDP kommt die Perspektive der Kinder und ihrer Rechte deutlich zu kurz. Der Stellenwert religiöser Riten und der Religionsfreiheit von Eltern wird einseitig über das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit und auch über ihr religiöses Selbstbestimmungsrecht gestellt. Es ist unstrittig, dass es sich bei der Beschneidung eines Menschen (wie bei vielen ärztlichen Behandlungen auch) juristisch gesehen um eine Körperverletzung handelt. Eine solche Körperverletzung ist nicht rechtswidrig, wenn der Betroffene einwilligt; bei Minderjährigen wird diese Zustimmung durch die Einwilligung der Eltern bzw. der Sorgeberechtigten ersetzt. Eindeutig ist aber auch, dass sich die Einwilligung der Eltern vor allem am Kindeswohl orientieren muss; die Rechte der Eltern sind durch Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes verfassungsimmanent begrenzt. Auch die UNKinderrechtskonvention, der Deutschland beigetreten ist, gibt im Artikel 3 vor, dass das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Das Landgericht Köln kommt daher aus unserer Sicht hinsichtlich der verfassungsrechtlich gebotenen Güterabwägung richtigerweise und stringent zu dem Schluss, dass „die Beschneidung des nicht einwilligungsfähigen Knaben weder unter dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des jeweiligen religiösen gesellschaftlichen Umfelds noch unter dem des elterlichen Erziehungsrechts dem Wohle des Kindes entspricht. Die Grundrechte der Eltern aus Artikel 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG werden ihrerseits durch das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG begrenzt.“

Sicherlich wird diese rein juristische Brille einem wertschätzenden Umgang mit wichtigen Riten und Traditionen von Weltreligionen nicht gerecht. Nichtsdestotrotz dürfen religiöse Riten aus unserer Sicht keinesfalls per se Vorrang vor dem Recht eines Kindes auf körperliche Unversehrtheit haben. Eine verfassungsrechtlich saubere Abgrenzung bestimmter religiöser Riten gegenüber anderen – wie bspw. auch gegenüber der Beschneidung von Mädchen – halten wir für schwer umsetzbar. Daher haben wir die Sorge, dass die Intention des interfraktionellen Antrags, die Beschneidung von Jungen für grundsätzlich zulässig gesetzlich festschreiben zu wollen, Türen öffnet, die sicherlich auch unsere Kolleginnen und Kollegen, die den vorgelegten Antrag begrüßen, nicht gut heißen (dies wird im Antrag auch zum Ausdruck gebracht, verfassungsrechtlich nutzt dies aber nichts).

Der Deutsche Bundestag sollte sich beim heiklen Thema der religiös motivierten Beschneidung von Jungen im Dialog mit den Religionsgemeinschaften, den Ärzteverbänden, den Kinderrechteverbänden etc. um eine kultursensible Lösung bemühen, die Kinder als Träger eigener Rechte in den Mittelpunkt stellt. Der vorgelegte Antrag wird diesem Anspruch nicht gerecht.

Persönliche Erklärung von Katja Dörner, Ulrich Schneider, Oliver Krischer, Maria Klein-Schmeink, Bettina Herlitzius, Ute Koczy, Dorothea Steiner, Monika Lazar, Katja Keul, Markus Kurth,Harald Ebner, Thomas Gambke, Tabea Rößner, Uwe Kekeritz

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