Mehr E-Demokratie: Keine schlichte Einbahnstraße

Die Frage nach mehr politischer Beteiligung durch neue Formen der Online-Kommunikation stand im Mittelpunkt der Fachkonferenz „Mehr E-Demokratie wagen“ des Grimme-Instituts am 16. November in Düsseldorf. Dabei skizzierten die Referenten und Podiumsteilnehmer vor allem die Chancen auf eine direktere und offene Beteiligung am politischen Diskurs. Doch es gab auch eine Reihe von relativierenden Einschränkungen hinsichtlich der Möglichkeiten und Freiheitsräume der sich bildenden demokratischen Netzöffentlichkeiten.

Sie zeichnen sich aus durch einen deutlichen Zuwachs sowohl in der Zahl solcher Plattformen und Initiativen als auch durch den wachsenden Zuspruch. So sind mehr als 500.000 Mitglieder bei der Kampagnen-Plattform „Campact“ registriert, Tausende von Kommentaren bei Online-Konsultationen zu finden, so wie auch viele engagierte Wähler über Facebook Kontakt zu den Abgeordneten ihres Wahlbezirks aufnehmen und sie zu Sachthemen befragen. Internet-Plattformen wie dem Politnetz aus der Schweiz oder „Campact“ gelingt es, Tausende zur Beteiligung oder zumindest zur Stimmabgabe in Einzelfragen zu bewegen.

Medien-Staatssekretär Marc Jan Eumann umriss zum Auftakt der Fachkonferenz die Bestrebungen der Landesregierung, die Bürger über Online-Konsultationen verstärkt in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Dabei sei, so bemerkte er in diesem Zusammenhang, immer auch die Offenheit der Zugänge wichtig, ebenso wie die Bewahrung und Förderung von professioneller journalistischer Qualität und die Frage nach einer ausreichenden Finanzierung, um diese gesellschaftsorientierte Aufgabe erfüllen zu können.

 

Grimme-Direktor Uwe Kammann verwies auf die aktuell mehrfach demonstrierte Wirkungsmacht des Internets, das über hohe anspornende und organisierende Kraft verfüge und so für viele Menschen zu einem Instrument der Aufklärung und der Freiheit werde. Es sei ein wichtiges Element einer kollektiven Kontrolle ebenso wie des individuellen Ausdrucksvermögens und der gesellschaftlichen Teilhabe. Doch habe diese „Freiheitsmünze“ auch ihre Kehrseite, von der Denunziation bis zur ungefilterten Propaganda.

Der Zahl derer, die sich tatsächlich politisch einmischen wollten, steige auch durch das Internet nicht signifikant, betonte der Frankfurter Politikwissenschaftler Thomas Zittel. Grenzen gebe es eben auch auf Seiten der Politik. Wie die Grünen-Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner aus ihrem politischen Alltag berichtete, spielten oftmals nicht prinzipielle Vorbehalte gegenüber einem online geführten Bürgerdialog eine Rolle, sondern die alltägliche Überfrachtung mit Anfragen zu jeglichen Themen, auf die eben nicht immer und vor allem nicht sofort reagiert werden könne. Hinzu kämen die verschachtelten Entscheidungswege der Politik und die Tatsache, dass Politik „immer komplizierter“ werde.

Letztlich, so ein Fazit einer Konferenzteilnehmerin, könne dies sogar dazu führen, dass „E-Demokratie“ genau das Gegenteil ihrer Intention bewirke, nämlich zu mehr politischer Verdrossenheit führe, wenn Beteiligung im Netz nicht auch zu erkennbaren politischen Reaktionen führe. Daniel Reichert vom Verein Liquid Democracy warnte vor Erwartungen in eine lineare positive Entwicklung: „Im Internet kann noch so viel passieren. Wenn es nicht an entsprechender Stelle umgesetzt wird, passiert gar nichts“.

Zu den Diskussionsergebnissen der Tagung „Mehr E-Demokratie wagen“ gehört, dass es für neue mediale Formen der politischen Partizipa-tion kein allseits überzeugendes Erfolgsmodell gibt. Deshalb werden weiter neue journalistische Projekte oder auch autonome Initiativen gefragt sein, sich als „Brückenbauer“ für den politischen Dialog im und außerhalb des Internet zu versuchen.

Einen Beitrag zu diesem Diskurs wird das neue Blog des Grimme Onli-ne Award unter dem programmatischen Titel „quergewebt“ leisten. Hier sind ab sofort nicht nur Berichte und Kommentare zur Fachkonferenz zu finden, sondern auch Meinungen zur Qualität im Netz. Dieser Live-Blog ist zu finden unter: http://blog.grimme-online-award.de.

Die Fachkonferenz „Mehr E-Demokratie wagen“ wurde gefördert von der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen.

Ebenfalls im November befasst sich eine weitere Veranstaltung des Grimme-Instituts mit dem Internet: Am 28. November 2011 findet im KOMED in Köln der „Social Community Day 2011“ statt, der sich in Panels und Workshops Netzwerken zwischen individueller Nutzung und gesellschaftlicher Partizipation widmet. Der Besuch der Veranstaltung ist kostenlos. Weitere Informationen zu Programm und Anmeldung finden Sie unter: http://soccomday.mixxt.de.

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