Bundestagsdebatte zu „Präimplantationsdiagnostik“ – Rede zu Protokoll, 07.07.2011

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren,

im Artikel 38 des Grundgesetzes heißt es über uns Bundestagsabgeordnete: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Ich denke, die sehr sachlich geführten Debatten zur Präimplantationsdiagnostik (PID) haben gezeigt, dass wir diesen Auftrag sehr ernst nehmen.

Es ist zu spüren, dass sich niemand diese Entscheidung leichtmacht. Auch bei mir war es ein langer Prozess, bis ich mich schlussendlich und nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen habe, heute für den Antrag von Ulrike Flach, Peter Hintze, Jerzy Montag und anderen zu stimmen.

In den vergangenen Wochen, ja Monaten, habe ich viele Veranstaltungen besucht, habe mich mit Expertinnen und Experten von Kirchen, Wissenschaft und Behindertenvertretungen ausgetauscht und die Diskussionen zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Gruppierungen verfolgt. Ich habe vor allem sehr viel Post bekommen, teils persönliche Briefe und E-Mails, die mich sehr berührt haben. Auch diesen Menschen gegenüber möchte ich hier kurz erklären, warum ich mich so und nicht anders entschieden habe.

Die Debatte über die PID hat gezeigt, dass es dabei um eine ethisch diffizile Frage geht. Sie berührt Ängste und Befürchtungen, ob wir Menschen uns anmaßen können, über Leben und Tod, also über das Schicksal eines Embryos zu entscheiden – aber auch das einer Frau.

Mit dem Antrag der Flach-Gruppe stellen wir uns dieser Verantwortung und sagen deutlich: Ja, die PID bleibt weiterhin verboten bis auf zwei klar definierte Ausnahmefälle: Wenn aufgrund einer erblichen Vorbelastung eines Elternteils ein hohes Risiko einer schwerwiegenden Erberkrankung des Kindes besteht oder mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Totgeburt oder Fehlgeburt aufgrund einer schweren genetischen Schädigung des Embryos droht.

Ich bin der festen Überzeugung, dass eine in Ausnahmefällen erlaubte PID viel Leid verhin-dern oder zumindest reduzieren kann. Eltern, die eine PID durchführen lassen wollen, machen es sich nicht leicht. Oft haben sie schon einen langen leidvollen Weg hinter sich. Gerade für Frauen ist der Prozess körperlich und seelisch sehr belastend. Wer den schweren Weg einer künstlichen Befruchtung auf sich nimmt, macht es sich auch nicht einfach mit der Entscheidung, sondern trifft sie genau so sorgfältig, abwägend und gewissenhaft, wie wir Abgeordnete über diese Frage beraten haben. Die PID soll Frauen eine informierte Entschei-dung für ein lebensfähiges und gesundes Kind ermöglichen. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass die Frau entscheiden kann, ob eine Schwangerschaft eingeleitet werden soll oder nicht.

Ein künstlich gezeugter Embryo kann nur mit der Mutter geschützt werden, nicht gegen sie. Daher muss diese Entscheidung mit der Mutter und nicht gegen sie erfolgen. Ein vollständiges Verbot der PID würde einer Frau eine wichtige Erkenntnis vorenthalten – das verletzt meines Erachtens Frauen in ihrer Würde und in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehr-theit.

Mir erschließt sich auch nicht die Logik, dass bei einem hohen Risiko einer schwerwiegen¬den Erberkrankung des Kindes oder der Wahrscheinlichkeit einer Tot- oder Fehlgeburt eine PID ausgeschlossen bleiben soll, zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich nach der Einleitung einer Schwangerschaft, aber Pränataldiagnostik möglich ist, die nach wie vor mit einem nicht ganz unproblematischen Eingriff der Amniozentese einhergeht, und dies zu einem Schwangerschaftsabbruch – einem also für die Mutter sehr schwerwiegenden Eingriff – führen kann.

Mir ist es auch wichtig, dass wir keinen „Katalog“ an Krankheiten entwickeln, nach denen eine PID möglich sein sollte. Menschliche Schicksale können meines Erachtens nicht in einem Gesetzentwurf festgeschrieben werden, deshalb brauchen wir ein Instrument, das eine individuelle Entscheidung ermöglicht. Bei dem von mir unterstützten Antrag soll eine interdiziplinäre Ethikkommission eingesetzt werden, die jeden Fall einzeln prüft und ihre Zustimmung geben muss. Dies halte ich für eine sinnvollere Lösung, als im Vorhinein Kategorien festzulegen, nach denen eine PID durchgeführt werden kann.

Gleichzeitig sollte nicht der Eindruck erweckt werden, man könnte durch die Ermöglichung der PID Behinderungen generell verhindern. Wir werden in unserer Gesellschaft auch weiterhin mit Menschen mit Behinderung zusammenleben. Bei den meisten Menschen tritt die Behinderung während oder nach der Geburt auf. Auf Menschen mit einer Behinderung zu treffen, ist alltäglich und wird es auch immer bleiben. Es ist unsere Aufgabe, existierende Barrieren abzubauen, allen Menschen ein unbehindertes Leben zu ermöglichen und Inklusion in unserer Gesellschaft zur Normalität werden zu lassen.

Die Bedenken, dass wir uns in naher Zukunft einer – überspitzt formuliert – „Flut von Designer-Baby-Wünschen“ ausgesetzt sehen, werden durch den Antrag und die Erfahrungen im Ausland mit der PID entkräftet. Für den Fall, dass jemand tatsächlich bereit wäre, eine PID nicht aufgrund schwerwiegender gesundheitlicher Gründe durchzuführen, haben wir ein klares Korsett aus Regelungen, Beratung und Evaluation angelegt. Zentral ist dabei, dass eine Ethikkommission ihre Zustimmung geben muss. Dies halte ich für eine wichtige Einschränkung, die einer so komplexen Entscheidung angemessen ist.

Es mag auf den ersten Blick erstaunlich klingen, dass das Ringen um die richtige Entscheidung und eine so intensiv geführte Debatte einen Gesetzentwurf begleitet, der laut Expertenmeinung nur etwa 200 Paare pro Jahr in Deutschland betrifft. Es ist meiner tiefsten Überzeugung nach richtig, dass wir Abgeordnete uns nicht nach Zahlen richten, sondern um die Sache ringen. Ich stimme heute in bestem Wissen und Gewissen ab – so, wie ich den Auftrag meines Mandats verstehe.

Vielen Dank!

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