Erklärung zum Abstimmungsverhalten im Bundestag zum Euro-Stabilitätspakt

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir erleben in Deutschland außergewöhnliche Zeiten: Eine Regierung, die sich selbst schlechte Zeugnisse ausstellt. Ein Bundespräsident, der abtritt. Scheidende Minister-präsidenten verkümmern da schon zu traurigen Nebenrollen. Und dann gibt es vor allem die Immobilienkrise, die Bankenkrise, Finanzkrise, Griechenlandkrise, Währungskrise… Oder kurz: Einfach nur Krise.

Niemand kann mit gutem Gewissen sagen, er verstehe alle Hintergründe. Und vor allem: er wisse, wo uns Staatsverschuldung, Milliardenpakete und Finanzmarktchaos noch hinführen werden.

Das sind Fragen, die viele Menschen ratlos zurück lassen. Das geht den Abgeordneten im Bundestag nicht anders. Und auch Kanzleramt und Finanzministerium hinterlassen derzeit nicht den Eindruck, die Fäden in der Hand zu halten. Von unserem Wirtschaftsminister Rainer Brüderle ganz zu schweigen.

„Nur 48 Stunden“ heißt ein berühmter Hollywood-Film. Nur 24 Stunden – so viel Zeit ließ sich Deutschland, um ein milliardenschweres Rettungspaket durchzuwinken – durch den Bundestag, den Bundesrat und über den Schreibtisch des Bundespräsidenten. Ein Rettungspaket in einer Größe, die Deutschland für unabsehbare Zeit wirtschaftlich handlungsunfähig machen kann.

Die Propagandisten der ungezügelten Marktwirtschaft wie Arnulf Baring und Hans-Olaf Henkel ziehen durchs Land und sagen, die öffentlichen Haushalte des Westens seien ruiniert – wegen der hohen Sozialausgaben. Uns GRÜNEN wirft die Atomlobby vor, erneuerbare Energien kosteten unerträglich viel und ruinierten das Land. Das alles sind aber nur Bruchteile der Summen, die wir für die Rettungspakete ausgeben.

Die Rolle der Banken

Mit welchem Erfolg? 2008 haben wir die Banken gerettet, weil es hieß, ohne die Banken bricht das ganze Land zusammen. Die Wörter „Banken“ und „danken“ unterscheiden sich durch einen Buchstaben. Aber zwischen Dankbarkeit und Banken liegen Welten. Denn die von den Staaten gerettete Finanzwelt zahlt sich nicht nur von den Rettungsgeldern weiterhin fleißig Boni gegenseitig aus. Die Finanzwelt greift auch europäische Haushalte und somit unsere gemeinsame Währung an. Es stimmt zwar, dass ohne die Staatsverschuldung und das Finanzchaos in Griechenland die Spekulanten nichts hätten bewirken können. Es ist aber auch Fakt, dass es gezielte Absprachen gab, um einen Staat zu destabilisieren. Sich erst retten lassen und dann den Retter, den Staat, anzugreifen, ist ein unerträgliches Sozialverhalten.

Die BILD-Zeitung wollte uns weismachen, das Geld für Griechenland fließe direkt an die Menschen, die sich dann davon Ouzo und Gyros kaufen. Das erfüllt fast schon den Tatbestand der Volksverhetzung. Aber vor allem schützt diese Lüge die wahren Profiteure des Rettungspaketes. So lange Griechenland die Kredite bedienen konnte, haben die Banken unverschämt gut an den hohen Zinsen verdient. Als die Pleite absehbar war, haben sie wieder nach den Staaten gerufen. Die Gewinne privatisieren, die Verluste sozialisieren – das Muster ist bekannt.

Zuerst Griechenland retten…

Das darf so nicht mehr weitergehen. Die Politik muss wieder Handelnder statt Reagierender werden. Wir dürfen uns nicht von der Bankenwelt treiben lassen. Das war meine Motivation, als das Euro-Rettungspaket zur Abstimmung stand.
Das bedeutete allerdings ein Dilemma. Denn zum einen darf sich die Politik nicht weiter so von der Finanzwelt treiben lassen. Zum anderen ist es aber auch problematisch, eine Staatspleite im EU-Raum in Kauf zu nehmen und so vielleicht einen Zusammenbruch des Euro zu riskieren. Deshalb haben viele der grünen Bundestagsabgeordneten mit großen Bauchschmerzen der Rettungshilfe für Griechenland zugestimmt.

…dann den kompletten Euro?

Die Hilfe für Griechenland war im Bundestag kaum beschlossen, da trafen sich die Regierungsvertreter auf EU-Ebene, um ein noch vielfach größeres Paket zur Stabilität des Euro auf den Weg zu bringen. Die Bundestagsfraktion stand vor einem Dilemma, als sie getrieben wurde in der Aktion „Nur 24 Stunden“, dem Euro-Rettungspaket zuzustimmen. Die Zeit grüner Fundamental-Opposition ist – zum Glück – vorbei. Die Mehrheit der Fraktion wollte in Verantwortung für dieses Land und für Europa dem Rettungspaket anfangs zustimmen. Viele meinten, das sei doch genau der Weg, den wir von der Bundesregierung eingefordert hätten. Das konnte und wollte ich nicht mittragen. Anderen Kolleginnen und Kollegen ging es ähnlich.

Eurostabilitätspakt verfassungsrechtlich zulässig?

Ich war und bin immer noch nicht überzeugt. Für mich stellen sich dabei ganz grundlegende Fragen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit. Liegt im Gesetzgebungsverfahren nicht ein Verstoß gegen Artikel 23 Grundgesetz vor? Denn dort heißt es:
(1)    Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet.
Dies bedeutet auch, dass der EUGV einzuhalten ist. Weiter heißt es:
(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

Dies ist nicht erfolgt.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahme des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.
Die Verhandlungen wurden ohne vorherige Stellungnahme des Deutschen Bundestages geführt. Am Freitagmittag hatten wir über Griechenland abgestimmt. Wusste die Kanzlerin zu diesem Zeitpunkt wirklich noch nichts, obwohl sie kurz danach nach Brüssel fuhr? War das nicht eine bewusste – der NRW-Wahl möglicherweise geschuldete – Missachtung des Parlaments? Und auch bei der sehr kurzfristigen Beratung in den Fachausschüssen konnten die vielen Fragen nicht beantwortet werden. Die Bundesregierung peitschte ein Gesetz durch, ohne zu wissen, wie der Rettungsfonds konkret ausgestaltet sein würde.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich wiederholt in eine zentrale Rolle (zuletzt bei den Lissabonverträgen) in der Frage der Überleitung der Grundsätze und der Gültigkeit des Grundgesetzes bei europäischen Fragen gebracht. Zudem gibt der Bundestag seine Budgethoheit auf.

Wer für Europa ist, muss auch für die Einhaltung der Verträge sein

Richtig ist, dass wir als die Europapartei gelten. Ich möchte nicht als Anti-Europäerin verstanden werden (dieser Vorwurf wird einem leider vorschnell gemacht). Im Gegenteil: wer  europafreundlich argumentiert, muss doch auf die Einhaltung der Verträge, die sich Europa gegeben hat, drängen. Ich aber sehe einen Verstoß gegen Art. 122 und 125 AEUV.

Wenn die EU-Kommission Hilfszahlungen an bestimmte Länder mit der Begründung „unvorhergesehene Katastrophen“ plant, dann trifft dies bei der hohen Staatsverschuldung Frankreichs und Italiens wohl kaum zu, sondern ist ein Ausfluss miserabler und wenig nachhaltiger Politik über Jahre hinweg.
Zudem sehe ich einen Verstoß gegen die so genannte No-bail-out-Klausel, die besagt, dass kein Mitgliedsstaat verpflichtet werden kann, für die Schulden der anderen Staaten einzustehen. Dies tun wir möglicherweise erstens mit der Verpflichtung, den Fonds zu bedienen oder für diesen zu haften, und zweitens, indem wir Lasten für EZB-Risiken tragen.

“We wrote a constitution, but we left it unread…” Wenn man Europa ernst nimmt, dann darf man auch nicht so flockig mit den Vertragstexten umgehen.
Außerdem wird gegen den EZB–Gedanken verstoßen, denn die EZB wird unter Druck gesetzt, risikobehaftete Staatsanleihen zu übernehmen. Dies führt nicht nur zu einer Schwächung der EZB, sondern widerspricht zudem ausdrücklich ihrem Auftrag, der Preisniveaustabilität (Inflationsziel) und überträgt Risiken auf die Staaten, die die EZB tragen. Dazu gehört Deutschland mit rund 20 Prozent. Weiterhin besteht hierdurch ein erhöhtes Inflationsrisiko, auch wenn Trichet und andere das bestreiten.

Die ganze Zeit haben wir Regulierungsinstrumente wie die Finanztransaktionssteuer gefordert. Aber auch da war die Kanzlerin unentschieden, wie sie in ihrer Regierungserklärung deutlich machte. „Wir brauchen eine Besteuerung der Finanzmärkte, sei es durch eine Finanzmarkttransaktionsteuer, sei es durch eine Finanzaktivitätsteuer“, so Merkel. Das ist aber ein großer Unterschied.

Enthaltung alternativlos

Ich war daher nicht bereit, bei derart schwer wiegenden Vorbehalten gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit zuzustimmen, schon gar nicht in der Opposition. Was im Falle der Griechenlandabstimmung noch gegolten haben mag, sehe ich hier in weiten Teilen nicht mehr erfüllt. Auch die in den Antragstexten ständig vorgeschobene „Alternativlosigkeit“ ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich hätte gerne zwischen Alternativen entschieden. Hätte es nicht mindere und andere Maßnahmen (Mittel) gegeben? Umschuldung, Gläubigerverzicht, Vermögensveräußerung, Einsatz von Währungsreserven durch Nationalbanken oder ähnliches?

Auch hat die Bundesregierung nicht um eine breite Zustimmung aller Fraktionen geworben. Aber wenn es tatsächlich um die Bewältigung einer solch großen Krise geht, sollte man dann nicht versuchen, ein starkes geschlossenes Signal aus dem Parlament in die Finanzwelt zu schicken?

Nach intensiver Diskussion entschied sich die Fraktion dann anders. Am Ende stand die Fraktion geschlossen für eine Enthaltung in dieser Frage. Die Stabilität der Währung ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Ein weiteres Milliardenpaket, dem keine Regulierungen des Finanzmarktes folgen, ist aber nicht die Lösung.

Die darauf folgenden Ereignisse geben uns GRÜNEN Recht. Mit dem Rettungspaket wurden Wackelkandidaten wie eben Griechenland oder Spanien zu Sparprogrammen verdonnert. Die Ratingagenturen sollten von den solideren Haushalten überzeugt werden. Was war die Folge? Die Ratingagenturen stuften Spanien in der Kreditwürdigkeit ab. Das Sparpaket würde eine Konjunkturflaute erwarten lassen – so die Begründung.

Wie es genau weitergehen wird, das weiß heute niemand. Aber, dass es anders werden muss, das wissen wir ganz sicher. Die Zeiten, in denen hohe Aktienkurse mit Volkswohl gleich gesetzt wurden, sind vorbei. Diese Verquickung hat sich als Schwindel erwiesen.

GRÜNE Wirtschafts- und Finanzpolitik

An die Wirtschaftspolitik der Zukunft haben wir GRÜNEN zwei Anforderungen. Erstens: Die reale Wirtschaft muss von den Finanzmärkten unabhängig gemacht werden. Ein Großteil der Geschäfte im Finanzsektor sind nur noch reine Zockerei. Den Zweck, Geld für vernünftige Investitionen aufzutreiben, erfüllen sie schon lange nicht mehr.
Trotz Bankenrettung verweigern ja die Banken vielen mittelständischen Unternehmen Kredite. Wir haben in Mainz davon profitiert. Wegen fehlender Kreditbereitschaft platzte hier das unsinnige Kohlekraftwerk. Insgesamt ist diese Kreditklemme aber für die Volkswirtschaft verheerend.
Das Thema Kohlekraftwerk führt uns zur zweiten Forderung, die wir GRÜNEN an die Wirtschaft der Zukunft stellen müssen. Investitionen müssen ökologisch verträglich sein.

Wir GRÜNEN wollen Wachstum – aber nicht Wachstum um jeden Preis, sondern nachhaltiges. Ökologie und Ökonomie sind dabei keine feindlichen Schwestern mehr. Im Gegenteil. Zusammen sind sie das Paar, das uns wieder Wohlstand für alle bringen kann. Der Umstieg auf erneuerbare Energien beschert uns auf Dauer hunderttausende neue Arbeitsplätze. Nach einem Umstieg auf erneuerbare Energien wäre auch das Elektroauto sinnvoll. Millionen neuer Autos, Millionen von Batterien und Ladegeräten und Milliarden von Zubehörteilen.

Das ist ein nachhaltiges Projekt – aber auch ein langfristiges Projekt. Derzeit müssen wir lernen, das Undenkbare zu akzeptieren – in Form von Finanzkrisen und Rettungspaketen, die uns zu verschlingen drohen. In Form von fehlenden Stabilitäten, wie sie die Bonner Republik nicht gekannt hat. Wir müssen einen grünen Entwurf dagegen setzen. Eine Idee, die nicht nur akute Probleme lindern kann, die uns stattdessen einen Weg aufzeigt, in der wir Probleme wieder lösen. Daher führt kein Weg an einer grünen und nachhaltigen Wirtschafts- und Finanzpolitik vorbei!

Eure Tabea

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